Vom Müll zum Booster: Wie RNA das Immunsystem antreibt

3. Juni 2025

Bislang wurde ihnen wenig Beachtung geschenkt, doch eine bestimmte Klasse von RNA-Molekülen scheint eine entscheidende Rolle in der Immunabwehr gegen bakterielle Infektionen zu spielen. Ein Forschungsteam um Professor Dr. Leon Schulte vom Institut für Lungenforschung der Philipps-Universität Marburg hat einen Atlas veröffentlicht, der enthüllt, wie sogenannte lange nichtkodierende RNAs (lncRNAs) gezielt entzündliche Prozesse in Immunzellen beeinflussen.

Lange Zeit wurden die Abschnitte des Erbguts, die lncRNAs kodieren, als „Junk-DNA“ – also als genetischer Ballast ohne Funktion – betrachtet. Mit einem neu entwickelten Analyseverfahren namens GRADR gelang es dem Team jedoch erstmals, umfassend darzustellen, wie lncRNAs mit Proteinen in Makrophagen – den „Fresszellen“ des Immunsystems – zusammenwirken. „Wir konnten zeigen, dass viele dieser RNAs direkt in Immunprozesse eingreifen und dabei helfen, Entzündungsreaktionen gezielt zu steuern“, erklärt Schulte.

ROCKI: Die Schlüssel-RNA befeuert Immunantwort

Besonders bemerkenswert ist das RNA-Molekül ROCKI, das gezielt einen zellulären „Aus-Schalter“ blockiert und somit die Entzündungsantwort fördert. Dr. Nils Schmerer, Erstautor der Studie, ergänzt: „ROCKI und vier weitere, bislang kaum untersuchte lncRNAs beeinflussen zentrale Signalwege der angeborenen Immunantwort.“

Die Forschenden haben neue Stoffwechselprozesse von RNA-Molekülen in der Immunabwehr entschlüsselt, kartiert und über eine Online-Plattform katalogisiert.
© Philipps-Universität Marburg / Leon Schulte, Nils Schmerer

Neues Werkzeug und offene Daten für die Forschung

Die vorgestellten Ergebnisse sind das Produkt einer Verbindung modernster molekularbiologischer Verfahren. Dazu gehören unter anderem die RNA-Sequenzierung, die CRISPR-Gentechnik und Proteomanalysen. Das daraus entstandene Nachschlagewerk ist für die Öffentlichkeit zugänglich: Über die Webplattform SMyLR können Forschende aus der ganzen Welt gezielt nach Immun-RNAs suchen, deren Regulation nachvollziehen und passende Proteinpartner identifizieren. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass lange nichtkodierende RNAs ein bislang unterschätztes Steuerungselement in der menschlichen Immunabwehr darstellen“, sagt Schulte. Die Erkenntnisse könnten in Zukunft helfen, neue Diagnosemarker oder Therapieansätze für entzündliche Erkrankungen wie Sepsis oder Lungenentzündung zu entwickeln.



Quelle: Philipps-Universität Marburg (05/2025)


Publikation:
Nils Schmerer et al, Nature Communications (21. Mai 2025)
https://doi.org/10.1038/s41467-025-60084-x

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