Natürliche Kristalle üben seit jeher eine große Faszination auf den Menschen aus, was an ihren mitunter leuchtenden Farben, ihrer nahezu makellosen Gestalt und ihren vielfältigen symmetrischen Formen liegt. Unter den zahlreichen bekannten Mineralien gibt es zudem immer wieder solche, die ungewöhnliche magnetische Eigenschaften aufweisen. Ein Beispiel hierfür ist Atacamit, ein Mineral, das bei tiefen Temperaturen ein magnetokalorisches Verhalten zeigt. Das bedeutet, seine Temperatur ändert sich drastisch, wenn ein Magnetfeld angelegt wird. Diese seltene Eigenschaft wurde nun von einem internationalen Team unter der Leitung der TU Braunschweig und des HZDR genauer untersucht. Langfristig könnten die gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen, neue Materialien für eine energieeffiziente magnetische Kühlung zu entwickeln.
Atacamit: Ein smaragdgrünes Mineral mit faszinierender magnetischer Frustration
Das smaragdgrüne Mineral Atacamit – benannt nach seinem ersten Fundort in der chilenischen Atacama-Wüste – erhält seine charakteristische Färbung durch Kupferionen. Diese Ionen sind auch für die magnetischen Eigenschaften des Materials verantwortlich: Jedes von ihnen besitzt ein ungepaartes Elektron, dessen Spin dem Ion ein magnetisches Moment verleiht, vergleichbar mit einer winzigen Kompassnadel. „Das Besondere an Atacamit ist die Anordnung der Kupferionen“, erklärt Dr. Leonie Heinze vom Jülich Centre for Neutron Science (JCNS). „Sie bilden lange Ketten aus kleinen, miteinander verbundenen Dreiecken, die man als Sägezahnketten bezeichnet“. Diese geometrische Struktur hat Konsequenzen: Obwohl sich die Spins der Kupferionen grundsätzlich antiparallel zueinander ausrichten wollen, ist dies innerhalb der Dreiecksanordnung geometrisch nicht vollständig möglich. „Man spricht in diesem Fall von magnetischer Frustration“, fährt Heinze fort. Als Folge dieser Frustration ordnen sich die Spins in Atacamit erst bei sehr tiefen Temperaturen – unter 9 Kelvin (−264 °C) – in einer statischen, alternierenden Struktur.
Als die Forschenden Atacamit in den extrem hohen Magnetfeldern des Hochfeld-Magnetlabors (HLD) am HZDR untersuchten, stießen sie auf eine bemerkenswerte Entdeckung: In den gepulsten Magnetfeldern zeigte das Material eine deutliche Abkühlung. Diese war nicht nur geringfügig, sondern reduzierte die Ausgangstemperatur auf fast die Hälfte. Dieser außergewöhnlich starke Abkühlungseffekt faszinierte das Forschungsteam besonders, da das magnetokalorische Verhalten von magnetisch frustrierten Materialien in diesem Kontext bisher kaum erforscht ist.
Potenzial für umweltfreundliche Kühltechnologien
Magnetokalorische Materialien werden als vielversprechende Alternative zu herkömmlichen Kühltechnologien angesehen, beispielsweise für die energieeffiziente Kühlung oder die Verflüssigung von Gasen. Im Gegensatz zur Kühlung durch die Kompression und Expansion eines Kühlmittels, wie es in jedem Kühlschrank geschieht, kann bei diesen Materialien die Temperatur durch das gezielte Anlegen eines Magnetfelds verändert werden. Dies ist nicht nur umweltfreundlich, sondern potenziell auch verlustarm.
Woher stammt der unerwartet starke magnetokalorische Effekt?
Weitere Untersuchungen an verschiedenen Laboratorien des European Magnetic Field Laboratory (EMFL) förderten noch bessere Einsichten zutage. „Mittels Kernspinresonanzspektroskopie konnten wir eindeutig zeigen, dass ein angelegtes Magnetfeld die magnetische Ordnung in Atacamit durcheinanderbringt“, erklärt Dr. Tommy Kotte, Wissenschaftler am HLD. „Das ist ungewöhnlich, da Magnetfelder in vielen magnetisch frustrierten Materialien üblicherweise der Frustration entgegenwirken und geordnete magnetische Zustände sogar fördern.“
Das Team konnte das unerwartete Verhalten des Minerals durch aufwendige numerische Simulationen der magnetischen Struktur erklären. Es zeigte sich, dass das Magnetfeld zwar die magnetischen Momente der Kupferionen an den Spitzen der Sägezahnketten entlang des Feldes ausrichtet und so die Frustration wie erwartet verringert. Doch genau diese magnetischen Momente vermitteln auch eine schwache Kopplung zu benachbarten Ketten. Fällt diese Kopplung weg, kann keine magnetische Ordnung mit großen Reichweiten mehr bestehen.
Erklärung des starken magnetokalorischen Effekts
Dies ermöglichte dem Team auch, den auffallend starken magnetokalorischen Effekt zu erklären: Er tritt immer dann auf, wenn ein Magnetfeld die Unordnung – oder genauer gesagt, die magnetische Entropie – des Systems beeinflusst. Um diese rasche Änderung der Entropie auszugleichen, muss das Material seine Temperatur entsprechend anpassen. Genau diesen Mechanismus haben die Forschenden nun direkt in Atacamit nachgewiesen.
„Natürlich erwarten wir nicht, dass Atacamit künftig in großem Stil abgebaut wird, um damit neue Kühlsysteme zu bauen“, erklärt Dr. Tommy Kotte. „Aber der von uns untersuchte physikalische Mechanismus ist grundlegend neu, und der beobachtete magnetokalorische Effekt fällt überraschend stark aus.“ Das Team hofft, dass die Arbeit künftig weitere Forschung inspiriert, insbesondere die gezielte Suche nach innovativen magnetokalorischen Materialien innerhalb der umfangreichen Klasse magnetisch frustrierter Systeme.
Quelle
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) (06/2025)
Publikation
L. Heinze, T. Kotte, R. Rausch, A. Demuer, S. Luther, R. Feyerherm, E. L. Q. N. Ammerlaan, U. Zeitler, D. I. Gorbunov, M. Uhlarz, K. C. Rule, A. U. B. Wolter, H. Kühne, J. Wosnitza, C. Karrasch, S. Süllow, Atacamite Cu₂Cl(OH)₃ in High Magnetic Fields: Quantum Criticality and Dimensional Reduction of a Sawtooth-Chain Compound, in Physical Review Letters, 2025 (DOI: 10.1103/PhysRevLett.134.216701)
https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.134.216701