Krankenhäuser weltweit, darunter auch in Europa und Deutschland, stehen vor einer zunehmenden Bedrohung durch Pilzinfektionen. Jährlich sind schätzungsweise 6 Millionen Menschen betroffen, wovon etwa 3,8 Millionen sterben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Pilz Candida, mit dem die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens Bekanntschaft machen, als vorrangige Gefahr eingestuft. Viele kennen Candida nur durch relativ harmlose Infektionen wie Mundsoor. Jedoch können bestimmte Arten wie C. auris und C. albicans in die Blutbahn gelangen und lebensbedrohliche Erkrankungen hervorrufen. Dies geschieht vor allem in Kliniken, wo der Pilz bei geschwächten Patient:innen, beispielsweise nach größeren Operationen oder Chemotherapien, leichtes Spiel hat.
Der Pilz kann sich zudem auf medizinischen Geräten wie Kathetern, Schläuchen oder Prothesen festsetzen und dort schwer zu entfernende Biofilme bilden, die hochgradig resistent gegenüber Antimykotika sind. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) hat kürzlich Alarm geschlagen und fordert dringend bessere Präventionsmaßnahmen, eine schnellere Diagnose sowie wirksamere Therapien.
Ein alternativer Ansatz: den Zucker-Code der Pilze lesen.
Die derzeitigen Methoden zur Diagnose von Pilzinfektionen sind langwierig und umständlich. So müssen Blutproben von potenziell infizierten Personen entnommen und anschließend in speziellen Labors kultiviert werden. „Diese Analysen dauern meist mehrere Tage, sind fehleranfällig und verfehlen manchmal das Ziel ganz“, erklärt Emelie Reuber. Als ehemalige Krankenschwester weiß sie aus erster Hand, wie wichtig eine schnelle Diagnose zur Rettung von Leben sein kann.
Ein Forschungsteam am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung (MPIKG) hat in Zusammenarbeit mit Ärzt:innen vom Uniklinikum Köln und Pilzexpert:innen vom MRC Centre for Medical Mycology an der Universität Exeter eine vielversprechende Alternative entwickelt: Sie wollen Pilze über ihre Zucker „ablesen“. Die äußere Zellwand von Candida-Pilzen besteht zu etwa 80% aus Glykanen, also Zuckern. „Das sind die ersten Strukturen, die unser Immunsystem erfasst – gewissermaßen der Fingerabdruck des Erregers“, erklärt Prof. Peter H. Seeberger. „Wir wollten genau verstehen, was das Immunsystem gleich zu Beginn erkennt.“
Um definierte und hochreine Candida-Glykane zu gewinnen, nutzte das Team um Seeberger eine automatisierte Methode. Diese Glykane wurden anschließend auf Glasplättchen, sogenannte Glykan-Mikroarrays, gedruckt. Die synthetischen Zuckerstrukturen wurden daraufhin mit Serumproben von Menschen und Mäusen getestet, die eine bestätigte Candida-Infektion aufwiesen. Zum Vergleich wurden auch Proben von gesunden Kontrollpersonen herangezogen. Das Ergebnis zeigte, dass Antikörper aus dem Blut der infizierten Individuen gezielt an bestimmte Zucker binden. Dadurch wird erkennbar, welche Glykanstrukturen auf der Pilzoberfläche vorhanden sind und vom Immunsystem erkannt werden. „Wir haben ein fluoreszierendes Markermolekül hinzugefügt. Sobald ein Antikörper an ein Glykan andockt, wird die Reaktion sofort sichtbar und messbar. Die Antikörper wirken wie ein Schlüssel im Schloss – und wir können das Signal direkt auswerten“, erläutert Reuber.
Das bedeutet schnelle, zuverlässige Diagnose – und ein Weg zur Prävention.
Die neue Methode identifiziert, welche Glykane das Immunsystem nach einer Konfrontation mit dem Pilz erkennt und welche die stärkste Immunreaktion hervorrufen. Durch den direkten Vergleich von Proben von Menschen und Mäusen konnten die Forschenden die Glykan-„Fingerabdrücke“ ermitteln, die das Immunsystem am zuverlässigsten erkennt. Dieses Wissen ist entscheidend für die Entwicklung schneller und einfacher zugänglicher Diagnosetests. In der Praxis könnte ein unkomplizierter Streifentest am Krankenbett, der nur wenige Tropfen Blut benötigt, bereits nach wenigen Minuten ein Ergebnis liefern. Dies wäre ein großer Fortschritt, da gebrechliche Patient:innen aktuell oft mehrere Blutentnahmen über sich ergehen lassen müssen, wobei jeder Nadelstich das Infektionsrisiko erhöht. Der Ansatz hat das Potenzial, insbesondere in Regionen mit begrenztem Zugang zu spezialisierten Laboren, die Diagnose erheblich zu beschleunigen.
„Diese Arbeit ist entscheidend: Wenn sich die Diagnose verzögert, verzögert sich auch die angemessene antimykotische Therapie. Das führt häufig zu einer ungünstigen Prognose und zu schweren invasiven Infektionen“, sagt Prof. Neil Gow (University of Exeter). Da jede Candida-Art ein spezifisches Zuckerprofil trägt, erlaubt dieser Ansatz zudem, zwischen verschiedenen Stämmen zu unterscheiden. So können Betroffene frühzeitig isoliert und gezielt behandelt werden. „Schnelle Diagnostik kann Leben retten; Ärzt:innen können es sich nicht leisten, abzuwarten, während sich Candida weiter ausbreitet“, fasst Dr. Rosanne Sprute zusammen.
Die Forschung geht jedoch noch einen Schritt weiter: Seeberger und sein Team untersuchen, inwieweit exakt definierte Glykane als Bausteine für zukünftige Impfstoffe dienen können, die direkt an der Pilzoberfläche ansetzen. Solche Glykokonjugat-Impfstoffe, bei denen Zucker an Proteine gekoppelt werden, haben sich bereits erfolgreich im Kampf gegen verschiedene bakterielle Infektionen bewährt. Die Übertragung dieser Strategie auf Pilzinfektionen könnte besonders die am stärksten gefährdeten Patient:innengruppen schützen und eine starke, langanhaltende Immunantwort hervorrufen.
Obwohl noch viel Arbeit vor den Forschenden liegt, ist das Ziel klar: die Erkenntnisse aus dem Labor schnellstmöglich ans Krankenbett zu bringen. So sollen Patient:innen schneller eine Diagnose und die nötige Behandlung erhalten.
Quelle
Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung (MPIKG) (09/2025)
Publikation
Emelie E. Reuber, Emer Hickey, Arnab Pradhan, Rosanne Sprute,Tilman Lingscheid, Pinkus Tober-Lau, Ian Leaves , Mark H. T. Stappers, Florian Kurth, Mariolina Bruno, Mihai G. Netea, Leif E. Sander, Oliver Cornely, Neil A. R. Gow, Alistair J. P. Brown , Rajat K. Singh, Sabrina Omoregbee-Leichnitz, Eric T. Sletten, José Danglad-Flores, Peter H. Seeberger
Glycan microarray analysis of Candida-related antibodies in human and mice sera guides biomarker discovery and vaccine development
PNAS (2025)