Es wird geschätzt, dass Hunderttausende von Chemikalien als potenziell umweltschädlich gelten. Allerdings liegen nur für einen sehr kleinen Bruchteil dieser Substanzen tatsächlich Messwerte aus Gewässern vor. Dies wurde kürzlich von Wissenschaftlern der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) nachgewiesen. In einem Artikel weisen die Autoren zudem darauf hin, dass die Umweltrisikobewertung für eine Reihe von Chemikalien eingeschränkt ist. Der Grund dafür ist, dass diese Substanzen bereits in Konzentrationen wirken, die mit den gängigen Messmethoden nicht mehr erfasst werden können.
Chemikalien in Gewässern: Ein besorgniserregendes Informationsdefizit
Für ihre Untersuchung werteten die Wissenschaftler eine umfangreiche Datenbank zum Vorkommen von Chemikalien in US-Gewässern aus. Die USA gelten hierbei als Land mit einer sehr guten Datenlage. Sie glichen die Messwerte mit Informationen zur Toxizität gegenüber Wasserorganismen wie Pflanzen, Insekten oder Fischen sowie mit Nachweisgrenzen ab.
Dabei zeigte sich, dass von den knapp 300.000 Chemikalien, die von der amerikanischen Umweltbehörde EPA als potenziell umweltrelevant eingestuft werden, für weniger als ein Prozent tatsächlich Messwerte aus Gewässern der behördlichen Umweltüberwachung vorliegen. Während frühere Studien oft das Fehlen von Informationen zur Giftigkeit von Chemikalien als Hauptproblem für die Risikoeinschätzung hervorhoben, macht die aktuelle Studie deutlich: Das größte Manko ist heutzutage das Fehlen relevanter Messwerte aus der Umwelt. „Das zeigt, wie die Qualität der behördlichen Gewässerüberwachung Einschätzungen der Risiken von Chemikalien beeinflussen kann“, erklärt der Umweltwissenschaftler Ralf Schulz, Seniorautor der Studie aus Landau.
Umweltauswirkungen und der Erfolg von Regulierungen
Trotz der erwähnten Datenlücken lassen sich aus den über 64 Millionen ausgewerteten Messwerten aus den Jahren 1958 bis 2019 für rund 1.900 Chemikalien und mehr als 300.000 Probestellen interessante Muster ableiten. Insbesondere in den 1970er Jahren überschritt eine vergleichsweise geringe Anzahl an Chemikalien, darunter Schwermetalle wie Kupfer, Blei oder Zink, häufig und in weiten Teilen der USA ihre Toxizitätsschwellen für Wasserorganismen.
Glücklicherweise trugen Maßnahmen wie Einleitungskontrollen dazu bei, dass das Problem der zu hohen Umweltkonzentrationen dieser anorganischen Chemikalien in den Folgejahren abnahm. Dies unterstreicht den positiven Effekt gezielter Umweltschutzmaßnahmen.
In den 2000er-Jahren waren die Schwellenwertüberschreitungen zwar seltener, betrafen aber eine deutlich größere Vielfalt an organischen Chemikalien, darunter beispielsweise Arznei- oder Pestizidwirkstoffe. Obwohl auch diese Überschreitungen zurückgingen, lag das laut den Forschern nicht an einer verringerten Belastung, sondern daran, dass die Messungen dieser Chemikalien eingestellt wurden. Umweltwissenschaftler Sascha Bub, der Erstautor der Studie, weist darauf hin: „Wird nach einer Chemikalie gar nicht erst in der Umwelt gesucht, kann nur schwer etwas über ihr tatsächliches Vorkommen in der Umwelt oder ihre Auswirkungen auf das Ökosystem gesagt werden.“
Die Tücke der Nachweisgrenzen: Wenn Messungen nicht ausreichen
Die Autoren der Studie haben zudem rund 37 Millionen Angaben zu analytischen Nachweisgrenzen von Chemikalien aus der US-Datenbank analysiert. Diese Nachweisgrenzen geben die geringste Konzentration an, bei der eine Chemikalie gerade noch nachgewiesen werden kann. Es zeigte sich, dass die Nachweisgrenzen für anorganische und viele organische Chemikalien zwar ausreichend niedrig sind, um potenzielle Gefährdungen für Gewässer abzubilden.
Allerdings liegen sie für manche Pestizide, insbesondere Insektizide, bedenklich nahe an den Schwellenwerten für biologische Effekte in Gewässern. Das bedeutet, dass Konzentrationen, die sich schädlich auf das Ökosystem auswirken, mit den gängigen analytischen Methoden der regulären Gewässerüberwachung oft gar nicht gemessen werden können. Für eine Gruppe von Insektiziden, die sogenannten Pyrethroide, die heute eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft spielen und zu den für Wasserorganismen giftigsten Chemikalien gehören, liegen die Nachweisgrenzen sogar fast durchweg oberhalb der Schwellenwerte für biologische Effekte. Folglich lässt sich das tatsächliche Umweltrisiko dieser Substanzen nur äußerst eingeschränkt beurteilen.
Die Autoren der Studie vermuten, dass das Monitoring von Chemikalien in der Umwelt auch in vielen anderen Regionen der Welt die Risikowahrnehmung beeinflusst. Allerdings fehlen oft Daten in ausreichender Qualität, um vergleichbare Analysen durchführen zu können. Sascha Bub betont: „Unsere Ergebnisse zeigen die Wichtigkeit der Analyse von Umweltdaten auf großer zeitlicher und räumlicher Skalenebene. Solche Analysen werden benötigt, um Handlungsanweisungen für eine zielgerichtete Erfassung und Umweltbeurteilung der rasant steigenden Anzahl eingesetzter Chemikalien ableiten zu können.“
Quelle
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (06/2025)
Publikation
Bub, S., Petschick, L.L., Stehle, S., Wolfram, J., Schulz, R. (2025): Limitations of chemical monitoring hinder aquatic risk evaluations on the macroscale. Science, https://www.science.org/doi/10.1126/science.adn5356