Wie ein Supermikroskop Nanofabriken in Action einfangen soll

1. Juli 2025

Ribosomen, oft als die Miniatur-Fabriken des Lebens bezeichnet, vollbringen eine beeindruckende mechanische Meisterleistung. Wer diese im Detail versteht, schafft die wissenschaftliche Basis für vielfältige Anwendungen – von der Impfstoffherstellung bis zur Entwicklung neuer Antibiotika. Um diese Nanofabriken in Aktion zu beobachten, scheut Professor Christian Spahn, Biophysiker an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, keinen Aufwand: Er plant, Ribosomen mit bisher unerreichter zeitlicher Auflösung abzulichten, wofür er ultrakalte Temperaturen und ein vier Meter hohes Mikroskop einsetzt, das äußerst vorsichtig gehandhabt werden muss.

Jede lebende Zelle ist auf Ribosomen angewiesen. Diese winzigen Fabriken, die nur etwa 25 Nanometer groß sind, entschlüsseln den genetischen Code und stellen anhand dieser Anleitung Proteine her. Diese Proteine sind entscheidend, da sie in der Zelle als Strukturelemente, Botenstoffe oder andere molekulare Werkzeuge dienen. Ribosomen arbeiten dabei wie an einem Fließband und fügen in rasantem Tempo rund um die Uhr Hunderte von Bauteilen zu Protein-Produkten zusammen.

„Bisher konnten wir nur Momentaufnahmen dieses äußerst komplexen Vorgangs einfangen“, erklärt Christian Spahn. Er ist der Direktor des Instituts für Medizinische Physik und Biophysik der Charité. „Jetzt wollen wir genauer hinschauen und die ultraschnellen Zwischenschritte sichtbar machen.“ Mit dem Vorhaben hat er den Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) überzeugt, der das Projekt „DeepRibosome“ im Rahmen eines Advanced Grant mit rund 2,5 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre fördert.

Je feiner der Blick, desto größer der Aufwand

Christian Spahn und sein Team haben sich zum Ziel gesetzt, genau zu entschlüsseln, wie Ribosomen bei ihrer Arbeit ihre Form verändern und welchen Einfluss dabei Temperatur, Ionen oder Antibiotika haben. Dies ist eine immense Herausforderung, die den Einsatz hochmoderner Technik erfordert. Über Jahre hinweg haben zahlreiche wissenschaftliche Institutionen in Berlin, gefördert von Bund und Land, an der Schaffung der notwendigen technischen Infrastruktur in der Hauptstadt gearbeitet.

Kühlung

Für eine Analyse im Supermikroskop Kryo-TEM müssen die Proben schockgefroren werden.

Um aktiv produzierende Ribosomen aufnehmen zu können, muss Spahns Team die Ribosomen zunächst aus den Zellen isolieren und sie außerhalb ihrer natürlichen Umgebung zur Arbeit anregen. Dafür haben die Forschenden eine neue Methode entwickelt. Anschließend kommt extreme Kälte ins Spiel: Die Proben werden in flüssigem Ethan bei minus 150 Grad Celsius schockgefroren. Dieser Prozess verhindert die Bildung von Eiskristallen und sorgt dafür, dass glasklares Eis die Moleküle in ihrer natürlichen Form umschließt. Schließlich werden hauchdünne Scheibchen der Probe, die lediglich 300 Nanometer dick sind, unter ein ganz besonderes Hochleistungsmikroskop gelegt: das Kryo-Transmissions-Elektronenmikroskop (Kryo-TEM).

Das Supermikroskop: Groß wie ein Koloss, empfindlicher als ein rohes Ei

Das Kryo-Transmissions-Elektronenmikroskop (Kryo-TEM), ein fünf Millionen Euro teures Gerät, ist etwas ganz Besonderes: Es kann selbst winzigste Zellstrukturen in ihrer natürlichen wässrigen Umgebung dreidimensional sichtbar machen – und das in fast atomarer Auflösung, also im Bereich von weniger als einem Millionstel Millimeter. Im Gegensatz dazu erforderten frühere Elektronenmikroskope eine chemische Präparation der Proben, was nicht unbedingt die ursprüngliche Struktur der Moleküle widerspiegelte. Für die Entwicklung der Kryo-Elektronenmikroskopie, bei der die Proben chemisch unverändert bleiben, wurde 2017 der Chemie-Nobelpreis verliehen. Einer der Preisträger war Joachim Frank, bei dem Christian Spahn die Feinheiten dieser Bildgebungsmethode erlernte.

Die im Kryo-TEM verbaute Technik ist nicht nur raumgreifend – das Mikroskop misst ganze vier Meter –, sondern auch hochsensibel: Es verträgt weder Temperaturschwankungen noch zu hohe Luftfeuchtigkeit oder Vibrationen. Aus diesem Grund hat das Kryo-TEM ein eigenes Gebäude erhalten. Dieses ist als „Haus im Haus“ doppelwandig konstruiert, mit einem 1,25 Meter dicken Betonboden, der Schwingungen ausgleicht, und einer effizienten Lüftungsanlage.

Komplexe Analyse Hunderttausender Bilder

Das Mikroskop selbst liefert derweil nur ziemlich verrauscht wirkende Einzelbilder. Damit ein 3D-Modell des Ribosoms entsteht, braucht es im letzten Schritt eine moderne digitale Bildverarbeitung – und Rechenpower. „Wir analysieren Hunderttausende Bilder mithilfe moderner Computerverfahren, um sie automatisch zu sortieren und zu klassifizieren“, erläutert Christian Spahn. „Die Berechnungen dauern Wochen bis Monate. So können wir auch sehr seltene, kurzlebige Zwischenzustände der Ribosomen im Millisekundenbereich sichtbar machen, die bisher im Verborgenen geblieben sind.“

Christian Spahn vergleicht den Vorgang mit einer Analyse des Pferde-Galopps. „Nehmen wir an, wir fotografieren eine Herde identischer Pferde, die über ein Feld galoppiert, unzählige Male aus unterschiedlichen Winkeln. Dann werden wir jedes Tier zu einem etwas unterschiedlichen Zeitpunkt der Bewegungsfolge eingefangen haben. All diese Einzelaufnahmen sortieren wir und setzen sie dann zu einem dreidimensionalen Film zusammen, der den Galopp in allen Details zeigt.“

Dieser Aufwand lohnt sich: Ein besseres mechanisches Verständnis der Protein-Fabriken klärt nicht nur ein fundamentales Prinzip des Lebens auf, sondern hat potenziell auch Relevanz für Biotechnologie oder Medizin. „Die Erkenntnisse könnten genutzt werden, um die künstliche Proteinherstellung zu optimieren – beispielsweise zur Produktion von Medikamenten, Impfstoffen oder künstlichen Zellen“, sagt Christian Spahn. „Weil Ribosomen der Hauptangriffspunkt für Antibiotika sind, kann ein besseres Verständnis ihrer Funktionsweise außerdem helfen, wirksamere Medikamente gegen resistente Bakterien zu entwickeln.“

Quelle

Charité – Universitätsmedizin Berlin (06/2025)

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