Die Erforschung Wasserstoffs als zukünftige Energiequelle rückt das Verständnis des Elektrolyseprozesses in den Fokus. In diesem Zusammenhang haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung und der Universität Cambridge einen eng verwandten Mechanismus, den Autodissoziationsprozess von Wasser, genauer untersucht. Obwohl die grundlegende Chemie der Wasserdissoziation unter Standardbedingungen bekannt ist, war bisher wenig darüber bekannt, wie sich dieser Prozess unter den starken elektrischen Feldern verhält, die typischerweise in elektrochemischen Systemen vorherrschen.
Ordnung, Unordnung und das Streben nach minimaler Energie
Grundsätzlich wird das Verhalten aller natürlichen Systeme, unabhängig von ihrer Größe, von wenigen fundamentalen Prinzipien bestimmt. Hierzu zählen das Streben nach minimaler Energie – wie etwa beim Fallen von Objekten – sowie das Zusammenspiel von Ordnung und Unordnung. Die Tendenz von Systemen, mit der Zeit unordentlicher zu werden, wird auch auf mikroskopischer Ebene beobachtet. Dieses Phänomen ist als Anstieg der Entropie bekannt.
Diese beiden Faktoren, Energie und Entropie (Unordnung), sind entscheidend für chemische Prozesse. Prozesse laufen automatisch ab, wenn sie zu einer Reduzierung der Energie oder zu einer Zunahme der Entropie führen. Unter Standardbedingungen, beispielsweise in einem Glas Wasser, wird die Selbstdissoziation von Wasser durch beide Faktoren behindert. Das macht den Prozess unwahrscheinlich. Legt man jedoch starke elektrische Felder an, kann dieser Vorgang dramatisch beschleunigt werden.
Die Forschenden aus Mainz und Cambridge haben nun einen überraschenden Mechanismus entdeckt, der die Selbstdissoziation von Wasser unter solch intensiven Feldern steuert. Ihre Ergebnisse stellen die traditionelle Ansicht infrage, wonach diese Reaktion primär durch Energiebetrachtungen angetrieben wird. „Die Selbstdissoziation von Wasser wurde unter normalen Bedingungen umfassend untersucht, wo sie als energetisch aufwendig und entropisch behindert gilt“, sagt Yair Litman, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut. „Aber unter den für elektrochemische Umgebungen typischen starken elektrischen Feldern verhält sich die Reaktion ganz anders.“
Entropie wird zur treibenden Kraft der Wasserspaltung im E-Feld
Mithilfe fortschrittlicher Molekulardynamik-Simulationen konnten Litman und sein Co-Autor Angelos Michaelides zeigen, dass starke elektrische Felder die Wasserdissoziation signifikant verstärken. Überraschenderweise geschieht dies nicht, indem die Reaktion energetisch begünstigt wird, sondern indem sie entropisch vorteilhafter wird. Das elektrische Feld ordnet die Wassermoleküle zunächst zu einem hochstrukturierten Netzwerk an. Wenn sich in der Folge Ionen bilden, stören diese die bestehende Ordnung und erhöhen damit die Entropie des Systems. Das dient letztlich als treibende Kraft für die Reaktion. „Das ist eine völlige Umkehrung dessen, was bei einem Feld von Null geschieht“, erklärt Litman. „Anstatt die Reaktion zu behindern, fördert die Entropie sie nun.“
Wie elektrische Felder Wasser radikal umgestalten
Die Studie zeigt auch, dass unter starken elektrischen Feldern der pH-Wert von Wasser von neutral (7) auf einen stark sauren Wert (bis zu 3) fallen kann. Das hat Auswirkungen darauf, wie wir elektrochemische Systeme verstehen und konstruieren. „Diese Ergebnisse deuten auf ein neues Paradigma hin“, sagt Michaelides. „Um Vorrichtungen zur Wasserspaltung zu verstehen und zu verbessern, müssen wir nicht nur die Energie, sondern auch die Entropie berücksichtigen – und wie elektrische Felder die molekulare Landschaft von Wasser umgestalten.“
Diese Forschungsergebnisse betonen die Notwendigkeit, die Modellierung der Reaktivität in wässrigen Umgebungen unter dem Einfluss elektrischer Felder zu überarbeiten. Gleichzeitig eröffnen sie neue Perspektiven für das Katalysatordesign, insbesondere im Kontext elektrochemischer und sogenannter „auf Wasser“ stattfindender Reaktionen.
Quelle
Max-Planck-Institut für Polymerforschung (10/2025)
Publikation
Litman, Yair; Michaelides, Angelos
Entropy governs the structure and reactivity of water dissociation under electric fields
Journal of the American Chemical Society
https://dx.doi.org/10.1021/jacs.5c12397