Warum Flüssigkeiten aus nicht-symmetrischen aktiven Teilchen so besonders sind

15. Dezember 2025

Chiralität – das Brechen der Links-Rechts-Symmetrie – ist in der Natur weit verbreitet, vom Schneckenhaus bis zur DNA-Spirale. In aktiver Materie – Systemen, die Energie verbrauchen – zeigt sich Chiralität noch häufiger, beispielsweise im spiralförmigen Schwimmverhalten von Bakterien und Spermien. Trotz dieser Bedeutung fehlte Chiralität weitgehend in theoretischen Beschreibungen wechselwirkender aktiver Materie. Ein Forschungsteam hat diese theoretische Lücke nun geschlossen.

Die Naturwissenschaft hat das Ziel, die Prinzipien der Natur bis ins kleinste Detail zu verstehen, was nur durch umfassendes Wissen möglich ist. Dieses Wissen ermöglicht es uns, es sinnvoll zu nutzen, etwa in der Medizin oder Materialwissenschaft. Dabei geht die Theorie oft dem Experiment voraus, indem theoretische Modelle vorhersagen, was im Labor zu erwarten ist.

Aktive Materie weist Rotationssinn auf

Professor Reza Shaebani hat mit einem internationalen Forschungsteam ein Modell entwickelt, das erklärt, wie Chiralität das Verhalten von Objekten in einem sogenannten „aktiven System“ beeinflusst.

Der Physiker erläutert die Bedeutung: „Aktive Materie – von wandernden Zellen und Vogelschwärmen bis hin zu synthetischen Mikroschwimmern – besteht aus Einheiten, die Energie aufnehmen und sich dadurch fortbewegen. Solche Systeme werden oft so behandelt, als würden sich ihre Bestandteile symmetrisch bewegen. In Wirklichkeit jedoch ist Chiralität eine allgemeine Eigenschaft aktiver Materie: Sowohl lebende als auch künstliche aktive Teilchen weisen eine gewisse Händigkeit und einen bevorzugten Rotationssinn in ihrer Bewegung auf. Trotz dieser Allgegenwart war bisher wenig darüber bekannt, welche Rolle Chiralität bei den Wechselwirkungen aktiver Teilchen spielt.“

Die neue Studie schließt diese Wissenslücke und belegt, dass die Dynamik aktiver Materie mit Chiralität wesentlich vielfältiger und komplexer ist, als man bisher angenommen hatte. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, führten die Wissenschaftler spezifische Simulationen durch: „Wir haben in unseren Simulationen Objekte in eine aktive Flüssigkeit gegeben, in welcher die einzelnen Teilchen der Flüssigkeit einer bestimmten chiralen Bewegung folgen. Diese hinzugefügten Objekte haben je nach Form anders auf die Chiralität reagiert“, erklärt Reza Shaebani.

Wenn sie in ihren Simulationen die Chiralität verstärkten, während die Flüssigkeit aus isotropen Teilchen bestand, veränderte sich das Verhalten dieser Teilchen: Sie wandelten sich von einem sich insgesamt drehenden Schwarm zu vereinzelt um die eigene Achse rotierenden „Spinnern“.

Anisotrope Teilchen rufen starke Wirbel hervor

Bei einer Flüssigkeit, die aus anisotropen, länglichen Teilchen besteht, geschieht jedoch etwas Erstaunliches: Um die eingebetteten Objekte bilden sich spontan wirbelnde Strukturen. Dabei entstehen besonders ausgeprägte Wirbel bei einer bestimmten optimalen Chiralität. Wenn sich die hinzugefügten Objekte nahe beieinander befinden, können diese Wirbel sich gegenseitig beeinflussen und stören, was wiederum zu häufigeren Kollisionen führt. Diese durch die Wirbel ausgelösten Kollisionen sind nicht nur ästhetisch interessant, sondern auch physikalisch bedeutsam. Unter optimalen Bedingungen können die daraus entstehenden Kräfte um mehrere Größenordnungen stärker sein als in nicht-chiralen Systemen, in denen sich die einzelnen Teilchen der Flüssigkeit ohne speziellen Rotationssinn bewegen. „Chiralität wirkt somit als verborgener Verstärker mechanischer Aktivität in lebenden und synthetischen Materialien“, fasst Reza Shaebani zusammen. Die mögliche Stärke dieser fluktuationsinduzierten Kräfte kann erklären, wie reale biologische Systeme – wie etwa das Zellskelett – überraschend große Kräfte erzeugen können, die beispielsweise Organellen bewegen oder Zellmembranen verformen.

Grundlage für neue Designprinzipien von Mikrorobotern und Materialien

Über die grundlegenden Erkenntnisse hinaus eröffnet die aktuelle Studie auch neue Designprinzipien für die Entwicklung aktiver Materialien. Bezüglich der praktischen Szenarien, die seine Entdeckung nach sich ziehen könnte, entwirft Reza Shaebani: „Durch gezielt erzeugte Chiralität und Krümmung ließe sich steuern, wie Teilchen sich selbst anordnen. Oder man könnte Komponenten unterschiedlicher Händigkeit trennen. Die Ergebnisse könnten den Entwurf von Mikrorobotern, selbstorganisierenden Materialien oder bioinspirierten Systemen unterstützen, die chirale Bewegung nutzen, um Kräfte und Organisation auf der Mikroskala zu steuern.“ Die Studie wurde durch den SFB 1027 an der Universität des Saarlandes unterstützt.

Quelle

Universität des Saarlandes (12/2025)

Publikation

H. Fatemi, H. Khalilian, J. Sarabadani, and R. Shaebani, „Optimal Chirality Enhances Long-Range Fluctuation-Induced Interactions in Active Fluids.” Adv. Sci. (2025): e09539. https://doi.org/10.1002/advs.202509539

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