Eine neue Studie hat gezeigt, dass die Säurerezeptoren von Vögeln unterdrückt werden, wenn diese stark Saurem ausgesetzt sind. Dieser Mechanismus hemmt die Übertragung von Säuresignalen, was wiederum die Toleranz der Vögel gegenüber sauren Nahrungsmitteln erhöht. Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass die molekulare Evolution der Säurerezeptoren eine entscheidende Rolle in der evolutionären Entwicklung und Diversifizierung der Vogelarten gespielt hat. Besonders interessant ist dabei, dass bei Singvögeln diese Entwicklung parallel zur Evolution der Süßwahrnehmung verlief, was auf eine Koevolution des sauren und süßen Geschmackssinns hindeutet.

Vögel stellen eine bemerkenswert vielfältige Gruppe von Landwirbeltieren dar. Ein zentraler Aspekt ihrer evolutionären Entwicklung liegt in ihrer flexiblen Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Nahrungsquellen und der damit verbundenen Fähigkeit, neue Futtergebiete zu erschließen. Insbesondere Früchte bilden für die Mehrheit der Vogelarten eine entscheidende Energiequelle, was sich besonders während des Vogelzugs oder in Perioden knapper Nahrungsressourcen zeigt.

Saure Toleranz: Wie Vögel neue Nahrungsquellen erschließen

Forschende aus Maude Baldwins Abteilung am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz haben in Zusammenarbeit mit dem Kunming Institute of Zoology der Chinesischen Akademie der Wissenschaften eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht: Vögel haben im Laufe ihrer Evolution eine ausgeprägte Toleranz gegenüber saurer Nahrung entwickelt. Diese einzigartige Fähigkeit, selbst extrem saure Substanzen zu fressen, hat es ihnen ermöglicht, eine Vielzahl von ökologischen Nischen zu erschließen. Die Studie liefert damit faszinierende neue Einblicke in die Evolution tierischer Sinne und ökologischer Anpassungen.

Einblicke in die Evolution der Geschmacksrezeptoren

Durch die Rekonstruktion der Geschmacksrezeptoren von Vorfahren an verschiedenen Stellen des Singvogel-Stammbaums fanden die Forschenden außerdem heraus: Die Evolution der erhöhten Säuretoleranz bei Singvögeln verlief parallel zur Entwicklung der Fähigkeit, Süßes zu schmecken. Das deutet auf eine mögliche Koevolution von saurem und süßem Geschmackssinn hin. Dieses Zusammenspiel ermöglichte es den Vögeln, ihre Nahrungspräferenzen zu erweitern und nicht nur sehr saure Früchte zu fressen, sondern auch zuckerhaltige Ressourcen wie Nektar. Dies könnte die Entwicklung der Singvögel beeinflusst haben, einer Vogelgruppe, die fast die Hälfte aller heute lebenden Vogelarten ausmacht.

Zusammenfassend legt diese neue Studie nahe, dass die funktionelle Entwicklung des Säure-Rezeptors maßgeblich die Evolutionsgeschichte der Vögel prägte und liefert damit neue Einblicke in die molekularen Mechanismen, mit denen Tiere ihre sensorische Wahrnehmung an die Umwelt anpassen.

Die Geheimnisse der Säuretoleranz bei Vögeln

Während Säugetiere säurehaltige Nahrungsquellen in der Regel meiden, können sich viele Vogelarten problemlos von sauren Früchten ernähren. Das Forschungsteam hat nun einen entscheidenden Faktor für diese bemerkenswerte Toleranz identifiziert: Bei einigen Vogelarten wird der Rezeptor für sauren Geschmack, Otopetrin 1 (OTOP1), in einer stark säurehaltigen Umgebung unterdrückt. Dies führt dazu, dass die Übertragung von Säure-Signalen reduziert wird. Infolgedessen nehmen die Vögel Säure schwächer wahr und können sie somit besser tolerieren

Ein Gen für Säuretoleranz: Wie Vögel saure Früchte lieben lernt

In einem cleveren Experiment nutzten die Forschenden Genom-Editierung, um das OTOP1-Gen eines Kanarienvogels in Mäuse einzufügen. Das Ergebnis war aufschlussreich: Diese genetisch veränderten Mäuse zeigten eine deutliche Reduzierung neuronaler Reaktionen auf saure Reize. Um die Bedeutung dieses Gens weiter zu untermauern, untersuchten die Wissenschaftler verschiedene Vogelarten. Es zeigte sich, dass Vögel, bei denen der OTOP1-Rezeptor beim Verzehr saurer Früchte nicht abgeschaltet wird, auch eine merklich geringere Säuretoleranz aufwiesen. Dies bestätigt die Schlüsselfunktion des OTOP1-Rezeptors sowohl für die Wahrnehmung als auch für die Toleranz von Säure.

Darüber hinaus identifizierten weitere Analysen vier spezifische Aminosäurestellen (H239, L306, H314 und G378), die maßgeblich zu den säureunterdrückenden Eigenschaften des OTOP1-Rezeptors beitragen. Interessanterweise besitzen nur Singvögel die Mutation an der letzten Stelle G378, was ihnen eine noch höhere Säuretoleranz ermöglicht.

Quelle

Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz (06/2025)

Publikation

Hao Zhang, Lei Luo, Qiaoyi Liang, Lifeng Tian, Yong Shao, Xiuping Zhang, Kaixun Cao, Anna Luo, Chengsan Wang, Peter Muiruri Kamau, Dong-Dong Wu, Maude W. Baldwin, Ren Lai These authors contribute equally to this work
Molecular evolution of sour tolerance in birds
Science, online June 19, 2025

Nach oben scrollen