Unerwartete Nebenwirkung: Wie gängige Medikamente Krankheitserregern den Weg ebnen

29. Juli 2025

Das menschliche Darmmikrobiom, ein komplexes Netzwerk von Mikroorganismen, spielt eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit, indem es die Verdauung unterstützt, das Immunsystem trainiert und uns vor Krankheitserregern schützt. Dieser Schutz kann nicht nur durch Antibiotika beeinträchtigt werden, sondern – wie eine neue Studie zeigt – auch durch viele andere Medikamente. Obwohl diese Medikamente primär auf den menschlichen Körper wirken sollen, können sie das Mikrobiom verändern, was dazu führen kann, dass Krankheitserreger leichter im Darm wachsen und Infektionen verursachen.

Forschende haben 53 gängige Nicht-Antibiotika – darunter Allergiemittel, Antidepressiva und Hormonpräparate – im Labor in synthetischen und echten menschlichen Darmgemeinschaften untersucht. Das überraschende Ergebnis: Rund ein Drittel dieser Wirkstoffe förderte das Wachstum von Salmonellen, Bakterien, die schwere Durchfallerkrankungen verursachen können. Lisa Maier, die Seniorautorin der Studie, sagt: „Dieses Ausmaß war vollkommen unerwartet. Viele dieser nicht-antibiotischen Medikamente hemmen nützliche Darmbakterien, während krankmachende Keime wie Salmonella Typhimurium unempfindlich sind. So entsteht im Mikrobiom ein Ungleichgewicht, durch das Krankheitserreger im Vorteil sind.“

Krankheitserreger bleiben, schützende Bakterien verschwinden

Forschende beobachteten bei Mäusen, dass bestimmte Medikamente die Vermehrung von Salmonellen förderten, was zu einem schwereren Verlauf der Salmonellose mit schnellem Krankheitsausbruch und starken Entzündungen führte. Laut den Hauptautoren Dr. Anne Grießhammer und Dr. Jacobo de la Cuesta aus Lisa Maiers Forschungsgruppe ist der Wirkmechanismus vielschichtig: Die Medikamente reduzierten die Gesamtbiomasse der Darmflora, störten die Artenvielfalt oder eliminierten Bakterien, die normalerweise mit Krankheitserregern um Nährstoffe konkurrieren. Dadurch verschwanden natürliche Konkurrenten von Keimen wie Salmonella, die sich dann ungehindert vermehren konnten.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass bei der Einnahme von Medikamenten nicht nur die gewünschte therapeutische Wirkung beobachtet werden muss, sondern auch der Einfluss auf das Mikrobiom“, sagt Grießhammer. „Die Einnahme von Medikamenten ist häufig unvermeidbar. Selbst Wirkstoffe mit vermeintlich wenigen Nebenwirkungen können im Darm sozusagen die mikrobielle Schutzmauer zum Einsturz bringen.“ Und Maier ergänzt: „Es ist bekannt, dass Antibiotika die Darmflora stören können. Nun haben wir starke Hinweise, dass auch viele andere Medikamente diese natürliche Schutzbarriere unbemerkt schädigen. Das kann für geschwächte oder ältere Menschen gefährlich werden.“

Forderung nach Neubewertung von Medikamentenwirkungen

Die Forschenden betonen die Notwendigkeit, die Wirkung von Medikamenten auf das Mikrobiom bereits in der Entwicklungsphase systematisch zu untersuchen. Dies gilt insbesondere für Medikamentenklassen wie Antihistaminika, Antipsychotika oder selektive Östrogen-Rezeptormodulatoren sowie bei der Kombination mehrerer Medikamente.

Das Team um Lisa Maier hat hierfür ein neues Hochdurchsatzverfahren entwickelt. Mit diesem lässt sich schnell und zuverlässig testen, wie Medikamente die Widerstandsfähigkeit des Mikrobioms unter Standardbedingungen beeinflussen. Dieses umfassende Screening soll dazu beitragen, Risiken frühzeitig zu erkennen und Therapien anzupassen. Die gewonnenen Erkenntnisse erfordern ein Umdenken in der Arzneimittelforschung: Medikamente sollten künftig nicht nur pharmakologisch, sondern auch mikrobiologisch bewertet werden. „Wer das Mikrobiom stört, öffnet Krankheitserregern Tür und Tor – es ist integraler Bestandteil unserer Gesundheit und muss als solches in der Medizin betrachtet werden“, betont Maier.

Rektorin Prof. Dr. Dr. h.c. (Dōshisha) Karla Pollmann betont: „Die Mikrobiomforschung in Tübingen hat hier einen wichtigen Erkenntnisgewinn vorzuweisen. Wenn bei der Entwicklung von Arzneimitteln die Wirkung auf das Mikrobiom einbezogen wird, besteht die Hoffnung, dass Patientinnen und Patienten langfristig passendere Therapien mit reduzierten Nebenwirkungen erhalten können.“

Quelle

Eberhard Karls Universität Tübingen (07/2025)

Publikation

Grießhammer A, de la Cuesta-Zuluaga J, Müller P, Gekeler C, Homolak Jan, Chang H, Schmitt K, Planker C, Schmidtchen V, Gallage S, Bohn E, Nguyen TH, Hetzer J, Heikenwälder M, Huang KC, Zahir T, Lisa Maier. (2025) Non-antibiotic drugs disrupt colonization resistance against pathogenic Gammaproteobacteria. Nature 643. 10.1038/s41586-025-09217-2

Nach oben scrollen