Forschende der ETH Zürich haben eine neue bildgebende Methode entwickelt, die es erstmals ermöglicht, die Chiralität – also die Links- und Rechtshändigkeit von Molekülen – räumlich sichtbar zu machen. Diese Innovation könnte neue Möglichkeiten in der Biologie und Materialwissenschaft eröffnen.
Was Chiralität so besonders macht
Medikamenten spielt sie eine entscheidende Rolle: Ein Molekül kann lebensrettend sein, während sein spiegelbildliches Gegenstück wirkungslos oder sogar schädlich ist. So wie die linke und rechte Hand zwar ähnlich, aber nicht deckungsgleich sind, existieren viele Moleküle in einer linken und einer rechten Version.
Das Forschungsteam um Romain Quidant, Professor für Nanophotonik an der ETH Zürich, hat nun eine Methode entwickelt, die mit nur einem einzigen Bild die Chiralität von Proben sichtbar macht. Bisher waren Messungen nur als Durchschnittswert über die gesamte Probe hinweg möglich. „Mit der neuen Methode können wir erkennen, in welchen Bereichen unserer Probe links- respektive rechtshändige Strukturen auftreten, und dies in einem einzigen Bild“, erklärt Rebecca Büchner, Doktorandin bei Quidant.
Licht als Schlüssel zur Händigkeit
Für ihre Studie nutzte Rebecca Büchner, in Zusammenarbeit mit Jose García-Guirado, eigens hergestellte, chirale Nanostrukturen aus Gold. Da die Forschenden die genaue Zusammensetzung der links- und rechtshändigen Anteile kannten, wussten sie, welche Ergebnisse sie erwarten konnten. Um die Chiralität dieser Proben zu visualisieren, setzte Büchner eine neu entwickelte bildgebende Methode ein, die wie eine hochspezialisierte Kamera funktioniert. Das Besondere daran ist ihre Fähigkeit, die Interaktion der Probe mit zwei verschiedenen Formen von zirkular polarisiertem Licht gleichzeitig zu erfassen.
Ein simultanes Messverfahren für Chiralität
Zirkular polarisiertes Licht bewegt sich in einer spiralförmigen Bahn, entweder nach links oder nach rechts. In der Natur reagieren viele chirale Moleküle unterschiedlich auf diese beiden Formen: Sie absorbieren beispielsweise linksdrehendes Licht stärker als rechtsdrehendes. Herkömmliche Methoden erfordern separate Messungen für links- und rechtszirkulares Licht.
Büchners neuartiger Ansatz erfasst jedoch beide Drehrichtungen simultan. Ermöglicht wird dies durch eine raffinierte optische Anordnung: Nach dem Durchgang durch die Probe wird das Licht mithilfe von Referenzstrahlen in seine links- und rechtshändigen Komponenten aufgeteilt. Dabei entstehen Überlagerungsmuster, die detailliert abbilden, wie jede Lichtart mit der Probe interagiert hat – und somit die Chiralität sichtbar machen.
Eine normale Kamera würde aus dieser Überlagerung nur ein unlesbares Bild aufnehmen. Dank der neuen Methode liest ein Computer die Informationen präzise aus. Das Ergebnis sind farbige Karten, die zeigen, welche Teile der Probe links- oder rechtshändig sind. „Wir konnten sogar Buchstaben wie ‹L› und ‹R› sichtbar machen, die aus unterschiedlich händigen Nanostrukturen aufgebaut waren“, berichtet Büchner.
Chancen für Biologie und Materialwissenschaft
„Das grösste Potenzial unserer Methode sehe ich überall dort, wo Chiralität räumlich variiert – und das bisher kaum messbar war“, sagt Jaime Ortega Arroyo, Senior Scientist und Mitbetreuer des Projekts. Besonders in der Materialwissenschaft sei das ein bekanntes Problem: Chirale Materialien lassen sich schwer räumlich auflösen, etwa wenn unterschiedliche Zonen in einem Werkstoff jeweils eine andere Händigkeit aufweisen. Die neue Methode erlaubt es nun, diese Unterschiede direkt sichtbar zu machen.
Die neue bildgebende Methode eröffnet auch in der Biologie vielversprechende Perspektiven. Sie könnte es ermöglichen, gesunde und kranke Gewebe nicht nur anhand ihrer Zellstruktur, sondern auch ihrer Chiralität zu unterscheiden. Solche Unterschiede wären direkt im Gewebe erkennbar, ohne dass eine Färbung oder ein mechanischer Eingriff notwendig wäre. Rebecca Büchner betont, dass dies nicht nur für Moleküle gilt, sondern auch für größere Strukturen wie Zellbestandteile, deren Chiralität bisher kaum erforscht werden konnte.
Auch in der Pharmazie sind Anwendungen denkbar, da viele Medikamente aus chiralen Molekülen bestehen, von denen oft nur eine Version wirksam ist. Eine Methode, die die „Händigkeit“ von Molekülen räumlich auflösen kann, würde die Analyse komplexer Gemische vereinfachen und könnte die Entwicklung neuer Diagnoseverfahren vorantreiben.
Im Labor den Feinschliff machen
Die neue bildgebende Methode befindet sich derzeit noch im Forschungsstadium. Die gemessenen Signale sind noch schwach und anfällig für Störungen. Wie Ortega Arroyo erklärt: „Unsere größte Herausforderung bestand darin, das Rauschen und andere störende Effekte so weit zu reduzieren, dass wir die Signale eindeutig der Chiralität zuordnen konnten.“
Die Forschenden arbeiten nun daran, das System empfindlicher zu machen. Bis zu einer Anwendung in der Praxis ist es noch ein langer Weg. Vorerst liegt der Fokus darauf, geeignete Anwendungsbereiche zu identifizieren und die Methode entsprechend anzupassen. „Wir wissen, was unsere Plattform leisten kann, aber andere Forschende wissen viel besser, welche weiteren Anwendungsfälle man damit am besten untersuchen könnte“, sagt Büchner.
Quelle
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) (08/2025)
Publikation
Büchner R, Garcia-Guirado J, Ortega Arroyo J, Quidant R. Wide-field spectroscopic imaging of optical activity. Nature Photonics, July 2025. DOI:10.1038/s41566-025-01722-0.