Unsere erstaunlichen Fähigkeiten wie Denken, Tasten oder Wahrnehmen basieren auf Proteinen – winzigen Molekülen, die zentrale Funktionen in unserem Körper ausführen. Trotz jahrzehntelanger Forschung wissen wir jedoch immer noch wenig darüber, wie diese molekularen Maschinen in ihrer natürlichen Umgebung funktionieren. Eine neue Studie von Forschenden des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts (MPL) zeigt einen Durchbruch in diesem Bereich: Mit optischer Mikroskopie unter kryogenen Bedingungen können sie bestimmte Stellen des mechanosensitiven Proteins PIEZO1 mit Ångström-Genauigkeit sichtbar machen, sogar innerhalb nativer Zellmembranen.
Die neue Methode
Bisher werden Proteinstrukturen meist mit Röntgenbeugung oder hochauflösender Elektronenmikroskopie analysiert. Diese Methoden haben jedoch Nachteile: Röntgenbeugung erfordert kristallisierte Proteine, während die Elektronenmikroskopie einen geringen Kontrast hat, wenn ein Protein von anderen Biomolekülen umgeben ist. Die optische Mikroskopie bietet hier eine vielversprechende Alternative. Das Team um Professor Vahid Sandoghdar hat diese Methode so weiterentwickelt, dass sie Proben in ihrem nahezu natürlichen Zustand bei extrem niedrigen Temperaturen (8 K) untersucht. Dies ist besonders wichtig für Membranproteine, die als Sensoren und Kommunikationsschnittstellen in der Zellmembran sitzen.
Neue Erkenntnisse zu PIEZO1
Das Protein PIEZO1 spielt eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung von Berührung und Druck. Bisherige Studien mit der Kryo-Elektronenmikroskopie (Cryo-EM) zeigten, dass PIEZO1 eine kuppelartige Struktur mit drei Flügeln bildet, die die Zellmembran wölbt. In ihrer neuen Arbeit markierten die Forscher PIEZO1 mit fluoreszierenden Markern und konnten es in seiner natürlichen Umgebung innerhalb der Zellmembran abbilden. Durch diese Methode konnten sie verschiedene Konfigurationen der PIEZO1-Flügel sichtbar machen und erhielten so neue Einblicke, wie sich das Protein bei mechanischer Reizung verformt und ausdehnt.
„Die entscheidende Innovation war das schnelle Einfrieren in einem flüssigen Kryogen – ein Prozess, der so schnell abläuft, dass die Wassermoleküle nicht kristallisieren und die Proteinstruktur somit intakt bleibt“, erklärte der Erstautor Dr. Hisham Mazal. Anschließend wurde die schockgefrorene Probe in einen Kryostaten eingesetzt, in dem sich das Mikroskop befindet – dabei musste jederzeit gewährleistet sein, dass die Probe vollständig kalt bleibt und keinem Luftkontakt ausgesetzt wird. „Um dies zu ermöglichen, entwickelten und konstruierten wir eine komplexe Apparatur, darunter ein kryogenes optisches Mikroskop und ein spezielles Vakuum-Shuttle“, so Prof. Vahid Sandoghdar.
Die verwendete Methode hat den Vorteil, dass sie nicht nur die natürliche Struktur des Proteins und seiner Umgebung erhält. Sie verlängert auch die Lebensdauer der fluoreszierenden Marker erheblich, sodass deutlich mehr Lichtteilchen (Photonen) von jedem Molekül gesammelt werden können. „So gelingt es uns, die Position jedes Moleküls mit einer bemerkenswerten Genauigkeit von nur wenigen Ångström zu bestimmen – das entspricht dem Durchmesser einzelner Atome“, erläuterte Prof. Sandoghdar.
Für die Zukunft plant das Team, diese Technik mit hochauflösender Kryo-EM zu kombinieren. „Diese Entwicklung eröffnet ein neues Forschungsfeld in der Strukturbiologie und rückt uns einen bedeutenden Schritt näher an das quantitative Verständnis der molekularen Funktionsweise des Lebens“, betonte Dr. Mazal.
Quelle
Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts (MPL) (08/2025)
Publikation
H. Mazal, F. Wieser, D. Bollschweiler, A. Schambony, and V. Sandoghdar. Cryo–light microscopy with angstrom precision deciphers structural conformations of PIEZO1 in its native state. Science Advances (2025).
DOI: 10.1126/sciadv.adw4402
http://doi.org/10.1126/sciadv.adw4402