Aus Abfall wird Zukunft: Forschende stellen Nylon-Grundstoffe aus Styropor her

30. September 2025

Was wie Science-Fiction klingt, ist nun Realität: Ein Team um den Saarbrücker Professor für Biotechnologie, Christoph Wittmann, und Kollegen aus benachbarten Fachbereichen hat es geschafft, Bakterien so einzusetzen, dass sie umweltschädliche Stoffe wie Polystyrol verwerten und daraus die Ausgangsstoffe für Nylon produzieren. Dieser innovative Ansatz ermöglicht die Herstellung von Nylon-Vorprodukten, ohne dass dafür auf neues Erdöl zurückgegriffen werden muss.

Plastikmüll ist nicht gleich Plastikmüll. Lässt sich der eine Kunststoff hervorragend wiederverwerten, kann das bei einem anderen schon ganz anders aussehen. „Polystyrol ist ein solches Sorgenkind“, weiß Christoph Wittmann. Sein gesamtes Forscherleben widmet sich Professor Christoph Wittmann bereits der zentralen Frage, wie sich bestimmte Kunststoffe umweltverträglich entsorgen oder wiederverwerten lassen. Ein besonderes „Sorgenkind“ in diesem Bereich ist Polystyrol, dessen bekannteste Variante, das Styropor, fast jedem ein Begriff ist. Nun könnte dieses Material dank dieser Arbeit seinen negativen Status verlieren und sich sogar zu einem gefragten Rohstoff für die Grundstoffchemie wandeln.

Die Herausforderung Polystyrol und die mikrobielle Lösung

Weltweit fallen jährlich etwa 20 Millionen Tonnen Polystyrol-Abfälle an, von denen bisher nur ein geringer Teil recycelt werden kann. Diese problematische Situation könnte jedoch bald der Vergangenheit angehören. Gemeinsam mit Polymerchemikern der Arbeitsgruppe von Professor Markus Gallei sowie weiteren Partnern ist es dem Biotechnologen Wittmann gelungen, einen Prozess zu etablieren. Hierbei werden zunächst die nötigen molekularen Bausteine durch ein energieschonendes Verfahren aus dem Polystyrol-Abfall gewonnen. Daraufhin wurden Bakterien dazu gebracht, diese Bausteine abzubauen und in nützliche Chemikalien umzuwandeln – der Grundstein für die mikrobielle Verwertung war gelegt.

Stoffwechselprogrammierung als Schlüssel

So einfach dies klingen mag, so komplex war die Umsetzung. Man kann einem Bakterium der Art Pseudomonas putida schließlich keine „erzieherisch wertvolle Rede“ halten. Stattdessen war eine jahrelange Laborarbeit notwendig, um den Stoffwechsel des Bakteriums gezielt zu manipulieren. Das Ziel: Es sollte erstens „Appetit“ auf die Styropor-Bausteine entwickeln, da die meisten Bakterien solche Stoffe nicht von Natur aus mögen. Und zweitens musste es dazu motiviert werden, als „Verdauungsprodukt“ genau jene Stoffe auszuscheiden, die als Ausgangsstoffe für Nylon benötigt werden.

Solche Stoffe sind zum Beispiel Muconsäure, die wiederum in Adipinsäure und Hexamethylendiamin aufgespalten werden kann. „Und diese beiden haben jeweils sechs Kohlenstoffatome und zwei Säure- bzw. Aminogruppen“, erklärt Christoph Wittmann. Chemiker werden nun aufhorchen, denn: „Das sind die beiden Bestandteile für die Herstellung von Nylon“, erklärt der Wissenschaftler. Nylon selbst nimmt in der Welt der Kunststoffe eine überragende Rolle ein. Die Substanz steckt in unzähligen Alltagsgegenständen: von der berühmten Nylon-Strumpfhose über Teppiche und Autositze bis hin zu Küchenutensilien, Kabelbindern und Dübeln. Diese Anwendungsvielfalt macht den Erfolg der Forschung deutlich: Durch das biologische „Upcycling“ entsteht aus schwer verwertbarem Polystyrol-Abfall ein wertvoller Rohstoff für die Herstellung von hochwertigen Kunststoffen. Das ist ein deutlicher Gewinn gegenüber dem herkömmlichen Recycling.

Vom Styropor-Abfall zum Nylon-Rohstoff

Dieses neue Verfahren eröffnet der chemischen Industrie völlig neue Möglichkeiten: Es erlaubt, die jährlich anfallenden vielen Millionen Tonnen Polystyrol-Abfälle im Stoffkreislauf zu halten und sie als Quelle für die Gewinnung neuer, wertvoller Grundstoffe zu nutzen. „Denn der Clou ist, dass unsere Kollegen vom INM um Aránzazu del Campo nachweisen konnten, dass die mit unserem Verfahren gewonnenen Stoffe dieselben Eigenschaften haben wie die Stoffe, die auf Basis von Erdöl in der Fabrik ganz neu hergestellt werden“, so Christoph Wittmann. Die entscheidende Erkenntnis ist, dass die Materialeigenschaften der aus recyceltem Polystyrol gewonnenen Kunststoffe identisch mit denen aus fabrikneuen Kunststoffen sind.

Dies ist besonders wichtig für die Belastbarkeit der Endprodukte: Sie weisen die gleiche Haltbarkeit auf wie solche, die aus „frischem“ Erdöl hergestellt wurden. Erzielt werden konnten diese Ergebnisse nicht zuletzt durch die enge und effiziente Zusammenarbeit und die kurzen Wege auf dem Campus der Universität des Saarlandes. „Das ist eine große Besonderheit hier in Saarbrücken“, erklärt der Biotechnologe. Heute kann keine Wissenschaftlerin und kein Forscher mehr erfolgreich nur im stillen Kämmerlein arbeiten, insbesondere auf seinem Gebiet. „Nachhaltigkeit braucht interdisziplinäre Teams“, sagt er. „Alleine geht es nicht.“

Quelle

Universität des Saarlandes (09/2025)

Publikation

Michael Kohlstedt, Fabia Weiland, Samuel Pearson, Devid Hero, Sophia Mihalyi, Laurenz Kramps, Georg Gübitz, Markus Gallei, Aránzazu del Campo, Christoph Wittmann, Biological upcycling of polystyrene into ready-to-use plastic monomers and plastics using metabolically engineered Pseudomonas putida, Chemical Engineering Journal, 2025, 168431, ISSN 1385-8947, https://doi.org/10.1016/j.cej.2025.168431

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