Neuer hybrider Aggregatzustand : Material kann gleichzeitig fest und flüssig sein

16. Dezember 2025

Die bekannten Hauptformen von Materie sind fest, flüssig und gasförmig. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Ulm und der University of Nottingham haben nun einen völlig neuen Aggregatzustand nachgewiesen, in dem Materie gleichzeitig feste und flüssige Eigenschaften besitzt. Dies geschieht, weil durch stationäre Atome eingehegte Flüssigkeiten auch weit unterhalb ihres Gefrierpunkts flüssig bleiben. Diese Entdeckung könnte zukünftig zur Entwicklung effizienterer und nachhaltigerer Katalysatoren beitragen.

Faszinierende Beobachtung: Metall ist gleichzeitig fest und flüssig

Normalerweise bewegen sich Atome, wenn Metall schmilzt, ähnlich frei wie einzelne Personen in einer Menschenmenge. Das deutsch-britische Forschungsteam unter Beteiligung der Universität Ulm machte jedoch eine überraschende Beobachtung: In flüssigem Metall verharren einige Atome fest an ihrer Position und beeinflussen dadurch den Erstarrungsprozess. Dies führt dazu, dass Charakteristika von Feststoffen und Flüssigkeiten im selben Material kombiniert vorliegen.

Dr. Christopher Leist, der die Experimente mit dem SALVE-Elektronenmikroskop in Ulm durchführte, erläuterte: „Mit unserem einzigartigen Niederspannungsmikroskop SALVE konnten wir erstmals beobachten, wie sich geschmolzene Metalltröpfchen auf atomarer Ebene verhalten.“ Das Team erhitzte Metallnanopartikel wie Platin, Gold und Palladium, die auf einem atomar dünnen Träger, nämlich Graphen, aufgebracht waren. Wie erwartet, begannen sich die Atome schnell zu bewegen, als die Partikel schmolzen. „Zu unserer Überraschung stellten wir jedoch fest, dass einzelne Atome wie festgenagelt an bestimmten Stellen verharrten.“ Als Grund hierfür wurden Fehlstellen in der Kristallstruktur des Trägermaterials identifiziert, an denen die fixierten Atome stark mit dem Graphen verbunden sind.

Stationäre Atome verhindern Kristallbildung

Darüber hinaus fanden die Forschenden heraus, dass die Anzahl dieser Defekte im Trägermaterial – und damit auch die Zahl der stationären Metall-Atome – mit dem Strahl des Elektronenmikroskops gezielt manipuliert und erhöht werden kann. Seniorprofessorin Ute Kaiser, Leiterin des SALVE-Zentrums an der Universität Ulm, erklärte die Auswirkungen: „Wenn nur wenige Atome fixiert sind, bildet sich aus der Flüssigkeit ein Kristall, der nach und nach wächst. Gibt es jedoch viele stationäre Atome, wird der Prozess des Erstarrens verlangsamt und die Kristallbildung verhindert.“ Diese Verfestigungsphase ist besonders relevant für industrielle Anwendungen, da sie die Struktur und die funktionellen Eigenschaften eines Materials maßgeblich bestimmt.

Stabile Flüssigkeit weit unter dem Schmelzpunkt nachgewiesen

Besonders spannend wird das Phänomen, wenn die fixierten Atome eine kreisförmige Begrenzung um die flüssige Materie bilden, was dem Forschungsteam gelang. Der Leiter des Forschungsteams, Professor Andrei Khlobystov von der University of Nottingham, betonte: „Sobald die Flüssigkeit in diesem ‚atomaren Gehege‘ gefangen ist, kann sie selbst dann noch flüssig bleiben, wenn die Temperatur weit unter den Punkt sinkt, an dem sich das Material normalerweise verfestigt.“ Im Falle von Platin bedeutet dies, dass es noch bei 350∘C flüssig sein kann – ein völlig unerwartetes Verhalten, da dies mehr als 1000∘C kälter ist, als der übliche Gefrierpunkt von Platin. Professorin Elena Besley, Expertin für theoretische Chemie an der University of Nottingham, ergänzte: „Mit unserem molekulardynamischen Ansatz konnten wir zeigen, dass die umzäunte Flüssigkeit tatsächlich stabil ist.“

Neue Materieform verspricht Effizienz: Bessere Katalysatoren durch feste und flüssige Atome

Dr. Jesum Alves Fernandes, Katalyse-Spezialist an der University of Nottingham, sieht in dieser Entdeckung große Chancen, insbesondere da Platin auf Kohlenstoff-Katalysatoren zu den meistgenutzten Katalysatoren weltweit gehören. „Wenn wir verstehen, wie sich die fixierten Atome anordnen und bewegen, könnten wir möglicherweise Katalysatoren entwickeln, die sich selbst reinigen und deutlich länger effektiv bleiben“, so Alves Fernandes.
Das Forschungsteam ist überzeugt: „Unsere Errungenschaft könnte eine neue Form von Materie einläuten, die Eigenschaften von Feststoffen und Flüssigkeiten in einem Material vereint.“ Die Forschenden hoffen, durch die gezielte Manipulation der Positionen der stationären Atome künftig längere und komplexere Gehege bilden zu können. Dies würde eine effizientere Nutzung seltener Metalle ermöglichen, beispielsweise in der Energieumwandlung und -speicherung.

Quelle

Universität Ulm (12/2025)

Publikation

Christopher Leist, Sadegh Ghaderzadeh, Emerson C. Kohlrausch, Johannes Biskupek, Luke T. Norman, Ilya Popov, Jesum Alves Fernandes, Ute Kaiser, Elena Besley, and Andrei N. Khlobystov
ACS Nano Article ASAP
DOI: 10.1021/acsnano.5c08201
https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acsnano.5c08201

Nach oben scrollen