In menschlichen Zellen organisieren biomolekulare Kondensate – winzige, flüssigkeitsähnliche Tröpfchen aus RNAs und Proteinen – das Zellleben und steuern wichtige Funktionen von der Genregulation bis zu Stressreaktionen. Die Zusammenlagerung bestimmter RNAs zu Clustern in diesen Kondensaten ist entscheidend; Fehlfunktionen können Entwicklungsstörungen, Krebs und neurodegenerative Erkrankungen verursachen.
Um die bislang ungeklärte Frage zu beantworten, warum manche RNAs leichter aggregieren als andere, identifizierten Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) eine neue RNA-Klasse namens smOOPs. Diese Entdeckung liefert ein besseres Verständnis, wie diese organisatorischen Knotenpunkte der Zelle entstehen. „Bei den Kondensaten handelt es sich um Ansammlungen, die durch Phasentrennung entstehen – ein Prozess, bei dem sich Moleküle von ihrer Umgebung abspalten, ähnlich wie sich Öl von Wasser trennt“, erklärt Professor Miha Modic vom Zoologischen Institut des KIT. „Innerhalb der Zellen führt dieser Prozess dazu, dass RNA und Proteine charakteristische membranlose Tröpfchen bilden.“
Identifizierung der smOOPs-RNA-Klasse mittels Deep Learning
In einer gemeinsamen Studie mit dem National Institute of Chemistry (Slowenien) und dem Francis Crick Institute (London) nutzte ein Team um Modic die Kombination von experimentellen Analysen und Deep Learning. Ziel war es, festzustellen, welche RNAs bei der Kondensatbildung zur Clusterbildung neigen. Dabei identifizierten die Forschenden eine bisher unbekannte und in der frühen Entwicklung aktive RNA-Klasse: die semi-extrahierbaren und orthogonalen organischen phasentrennungsangereicherten RNAs – abgekürzt smOOPs.
Klebrige RNAs mit Einfluss auf die Zellorganisation
„Während der frühen Entwicklung führt jeder Zellzustand zu einer eigenen Zusammensetzung kondensationsanfälliger RNAs. Diese RNAs bestimmen und stützen die Phasentrennungslandschaft der Zelle“, sagt Modic. „Wir haben entdeckt, dass smOOPs ungewöhnlich ‚klebrig‘ und in hohem Maß zelltypspezifisch auftreten. Sie kommen vor allem in der frühembryonalen Entwicklung vor: Sie widerstehen den üblichen RNA-Extraktionsmethoden und binden besonders stark an RNA-bindende Proteine.“
Die Forschenden beobachteten, dass sich smOOPs in der Zelle zu sichtbaren, stark vernetzten Clustern ansammeln. Das belegt ihre natürliche Tendenz zur Kondensation. Mittels Deep Learning wurden die gemeinsamen Merkmale dieser neuen RNA-Klasse identifiziert: lange Transkripte mit geringer Sequenzkomplexität, starker interner Faltung und spezifische Proteinbindungsmuster. Zudem zeigte sich, dass die von diesen RNAs kodierten Proteine oft lange, flexible Segmente enthalten, die den Kondensationsprozess zusätzlich fördern. „Dies deutet auf eine faszinierende Wechselwirkung zwischen RNA- und proteinbasierten Merkmalen bei der Phasentrennung hin“, so Modic. „Die Entdeckung von smOOPs erweitert unser Verständnis von kondensationsanfälligen RNAs. Außerdem zeigt sie, wie die Kombination von biochemischen Experimenten mit Maschinellem Lernen die verborgene Logik molekularer Netzwerke des Lebens aufdecken kann.“
Neue Perspektiven für die Krankheitsforschung
Entscheidend für ein grundlegendes Verständnis der Biologie ist das Verständnis dafür, wie Zellen ihre innere Ordnung sichern. „Sowohl RNA als auch Proteine tragen zur Kondensatbildung bei. Diese Kopplung ist besonders relevant für die Entwicklung. Wenn dieser Mechanismus gestört ist, kann das Krankheiten verursachen“, erklärt Modic. „Durch die Identifizierung von smOOPs und ihrem RNA-RNA-Interaktionsnetzwerk verfügen wir nun über einen konzeptionellen und mechanistischen Deutungsrahmen, um pathogene Kondensate bei Krankheiten zu interpretieren.“
Quelle
Karlsruher Institut für Technologie (11/2025)
Publikation
Klobučar, T., Novljan, J., Iosub, I. A., Kokot, B., Urbančič, I., Jones, D. M., Chakrabarti, A. M., Luscombe, N. M., Ule, J., Modic, M.: Integrative profiling of condensation-prone RNAs during early development. Cell Genomics. DOI: 10.1016/j.xgen.2025.101065
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/41265448/