Wenn Sie sich beim Apfelschälen versehentlich in den Finger schneiden, eilen sofort Immunzellen herbei, um eindringende Bakterien abzuwehren und Ihren Körper zu schützen. Dieses grundlegende Verständnis der Immunreaktion hat Professor Dr. Matthias Gunzer von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen (UDE) dazu inspiriert, ein neuartiges Mikroskop zu entwickeln, das potenziell Leben retten kann.
Für dieses Projekt hat der Immunologe in Zusammenarbeit mit Partnern der UDE und dem Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften – ISAS – e.V. beeindruckende 1,3 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworben. Davon fließen rund 400.000 Euro direkt an die Medizinische Fakultät der UDE. Das unter dem Namen „ComplexEye“ entwickelte Mikroskop verspricht eine revolutionäre Geschwindigkeit und soll 96-mal schneller sein als derzeit verfügbare Modelle.
Die Geschwindigkeit und Beweglichkeit von Immunzellen sind hoch. Um sie zu messen, muss für ein Zeitraffervideo alle acht Sekunden ein Bild gemacht werden. Ein herkömmliches Mikroskop mit einem Objektiv kann nur vier Proben gleichzeitig analysieren. „Das ist zu langsam, um große Probenanzahlen zu untersuchen und wertvolle Strategien für Diagnostik und Therapie abzuleiten. Daher bauen wir ein Multi-Lens-System und entwickeln KI-gestützte Software. Es wird 96-mal schneller sein“, erklärt Professor Gunzer.
Ein Blick in die Zukunft der Immunologie: ComplexEye nimmt Fahrt auf
Nach zwölf Jahren intensiver Vorbereitung hat im Juni 2025 ein bahnbrechendes dreijähriges Forschungsvorhaben begonnen, das die medizinische Bildgebung revolutionieren könnte. Professor Dr. Matthias Gunzer, Direktor des Instituts für Experimentelle Immunologie und Bildgebung, treibt dieses Projekt voran. Er arbeitet dabei eng mit den Duisburger Elektroingenieuren Professor Dr. Anton Grabmaier, Professor Dr. Hendrik Wöhrle und Dr. Reinhard Viga zusammen, sowie mit einem Team um Dr. Jianxu Chen vom ISAS in Dortmund.
Die Kompetenzen sind klar verteilt: Professor Gunzers Team bringt die biomedizinische Expertise ein, während das Systemdesign in Hard- und Software aus Duisburg stammt. Die Entwicklung der neuen, KI-basierten Analyse-Software erfolgt in Dortmund. Ein erster Prototyp des Mikroskops, das bereits 16 Objektive nutzt, wurde bereits erfolgreich entwickelt. Das Ziel ist nun, auf einer postkartengroßen Standardlochplatte 96 schlanke Objektive samt komplexer Videotechnik zu montieren. Dies würde es ermöglichen, beeindruckende 384 Filme gleichzeitig aufzunehmen und so völlig neue Einblicke in immunologische Prozesse zu gewinnen.
Echtzeit-Analyse für schnelle Diagnosen: Wie ComplexEye Leben retten soll
„Um die Anforderungen an Hochdurchsatzanalysen zu erfüllen, entwickeln wir eine Software mit Echtzeit-Verfolgung, die ohne leistungsstarke externe Computer auskommt“, erläutert Dr. Chen. „Das ist beispielsweise möglich, da Edge Devices, also parallel arbeitende kleine Prozessoren, die zeitintensive Bildanalyse übernehmen, auch mit KI“, ergänzt Dr. Viga. Die Daten werden unmittelbar ausgewertet, weil es lebenswichtig sein kann, die Ergebnisse schnell zu haben: „Manchmal sind die Immunzellen gestört“, sagt Prof. Dr. Gunzer. „Wenn wir wissen, wie sie sich bewegen, können wir Krankheiten erkennen oder Wirkstoffe entwickeln, die ihr Tempo steuern.“
So könnte sich mit dem ComplexEye ablesen lassen, ob jemand auf der Intensivstation kurz vor einer Sepsis steht. Das Ergebnis wäre innerhalb weniger Stunden da, und ein Wirkstoff könnte verabreicht werden. Auch bei Krebs liefert die Bewegungsfähigkeit dieser Zellen wertvolle Anhaltspunkte für die Diagnostik und Therapie.