Mikroplastik bedroht Widerstandskraft mediterraner Korallen

12. Juni 2025

An der abgelegenen Illa Grossa, einer Insel im Meeresschutzgebiet der Columbretes-Inseln vor der spanischen Mittelmeerküste, befindet sich das einzige Riff der Steinkorallenart Cladocora caespitosa im Mittelmeer. Trotz der Entfernung von 55 Kilometern zum Festland und dem Fehlen lokaler Verschmutzungsquellen, offenbart eine aktuelle Studie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) eine überraschend hohe Belastung dieses streng geschützten Habitats mit Mikroplastik und Mikrogummi.

Die Untersuchung, deren Ergebnisse im Marine Pollution Bulletin veröffentlicht wurden, zeigt, dass sich die winzigen Kunststoffpartikel in den Sedimenten der Korallen ablagern. Dies könnte sowohl ihre Fähigkeit zur Nahrungsaufnahme beeinträchtigen als auch ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Hitzestress mindern. Die Forschenden stellten fest, dass an einigen Stellen über 6.000 Mikroplastikpartikel pro Kilogramm Sediment vorhanden waren. Dieser Wert übertrifft den Durchschnitt in der Untersuchungsregion um das Vierfache und ist auch im Vergleich zu anderen Mittelmeergebieten bemerkenswert hoch

„Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass selbst unberührte und streng geschützte Lebensräume nicht vor Mikroplastikflut sicher sind“, sagt Dr. Lars Reuning vom Institut für Geowissenschaften an der Universität Kiel und Erstautor der Studie. „Cladocora caespitosa ist die einzige riffbildende Korallenart im Mittelmeer. Durch ihre Fähigkeit, unter gemäßigten Bedingungen Riffe zu bilden, schafft sie einen wichtigen Lebensraum für zahlreiche andere Arten – eine Rolle, die wir sonst nur von tropischen Korallen kennen. Zudem ist sie für uns ein wichtiger Indikator für Umweltveränderungen in der Region“, so Reuning weiter.

Eine Schlüsselart im Mittelmeer unter Druck

Die Korallenart Cladocora caespitosa ist eine echte Besonderheit: Während die meisten Korallenriffe in tropischen Gewässern zu finden sind, bildet sie stabile Riffstrukturen unter gemäßigten Bedingungen. Als sogenannte Schlüsselart schafft sie wertvolle dreidimensionale Lebensräume, die zahlreichen anderen Meeresbewohnern als Zuhause dienen.

Ihre Ernährung ist vielseitig: Cladocora caespitosa betreibt Photosynthese durch eine Symbiose mit mikroskopisch kleinen Algen und nimmt zusätzlich Plankton aus dem Wasser auf. Gerade in den lichtarmen Wintermonaten oder bei Hitzestress ist diese heterotrophe Nahrungsaufnahme entscheidend für ihr Überleben. Eine hohe Konzentration von Mikroplastikpartikeln könnte jedoch genau diesen flexiblen Ernährungsweg empfindlich stören – mit schwerwiegenden Folgen für die Energieversorgung und die Widerstandsfähigkeit der Koralle gegenüber Stress.

Ein entlegener Hotspot der Plastikverschmutzung

Für ihre jüngste Studie entnahmen Forschende, hauptsächlich vom spanischen Institut Torre de la Sal Aquaculture (CSIC), Sedimentproben an fünf Stellen innerhalb der vulkanischen Caldera von Illa Grossa. Diese Proben wurden anschließend in den Laboren der Universität Kiel und des Helmholtz-Zentrums Hereon analysiert. Interessanterweise wirkten die Korallenkolonien dabei wie ein physikalisches Sieb: Je dichter die Kolonie war, desto kleinere Partikel wurden zurückgehalten, was auf eine hydrodynamisch gesteuerte Anreicherung hindeutet. Im Durchschnitt fanden die Wissenschaftler 1.514 Mikroplastik- und Mikrogummipartikel pro Kilogramm Sediment. Eine einzelne Probe aus dem Inneren einer Korallenkolonie enthielt sogar beachtliche 6.345 Partikel.

„Wir haben in allen Proben Mikroplastik gefunden. Die höchsten Konzentrationen lagen aber in Sedimenten, die sich innerhalb der Korallenstrukturen angesammelt haben“, erklärt Co-Autor Dr. Diego Kersting, Forscher am Institut Torre de la Sal Aquaculture (IATS-CSIC). „Diese Werte liegen weit über denen, die bislang in anderen Teilen des westlichen Mittelmeers beobachtet wurden“, so Kersting weiter.

Im Labor wurden die Mikroplastikpartikel mithilfe der Laser-Direkt-Infrarotspektroskopie (LDIR) detailliert nach ihrer Größe, Form und Polymerart untersucht. Dabei zeigte sich, dass Polyethylen (PE) mit 28 % am häufigsten vertreten war, gefolgt von Polyethylenterephthalat (PET) mit 25 % und Polystyrol (PS) mit 19 %. Polyurethane (PU) und Mikrogummi machten zusammen etwa 16 % aus. „Mehr als 90 Prozent der Partikel sind kleiner als 250 Mikrometer – und damit klein genug, um von Korallen aufgenommen zu werden“ erklärt Dr. Daniel Pröfrock vom Helmholtz-Zentrum Hereon. „Polyurethane stehen im Verdacht, besonders gesundheitsschädlich für Meeresorganismen zu sein – ihre chemischen Eigenschaften lassen potenziell toxische Wirkungen erwarten“, ergänzt sein Kollege Dr. Lars Hildebrandt.

Plastiktransport durch Meeresströmungen

Die nach Nordosten offene, C-förmige Bucht von Illa Grossa wirkt wie eine Falle für treibende Plastikpartikel. Der Northern Current, eine bedeutende Meeresströmung im westlichen Mittelmeer, spielt dabei eine entscheidende Rolle, indem er Plastikmüll von den dicht besiedelten Küstenregionen Spaniens, Südfrankreichs und Norditaliens bis zu den Columbretes-Inseln transportiert. Einmal in die Bucht gespült, bleiben die Kunststoffabfälle dort gefangen. Hinzu kommt der Reifenabrieb vom Land, der über Flüsse ins Meer gelangt und das Meeresschutzgebiet zusätzlich mit Gummifragmenten stark belastet.

„Unsere Ergebnisse sind alarmierend, auch wenn sie nur ein begrenztes Gebiet des Mittelmeeres betreffen. Sie machen deutlich, dass auch Schutzgebiete stark vom Einfluss der weltweiten Plastikverschmutzung betroffen sind und dass empfindliche Korallenarten besonders bedroht sind. Wir müssen daher die Erforschung solcher Auswirkungen intensivieren und gleichzeitig unsere Anstrengungen zur Eindämmung der Plastikflut weiter verstärken“, blickt Dr. Lars Reuning in die Zukunft.



Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (06/2025)


Publikation:
Reuning, L., Hildebrandt, L., Kersting, D. K., & Pröfrock, D. (2025). High levels of microplastics and microrubber pollution in a remote, protected Mediterranean Cladocora caespitosa coral bed. Marine Pollution Bulletin, 217, 118070. https://doi.org/10.1016/j.marpolbul.2025.118070

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