Materialforschende trainieren KI mit Mikroskopie-Analysedaten von 10.000 Stahlproben

4. Dezember 2025

Bei den rund 5.000 Stahlsorten kommt es im Herstellungsprozess auf feinste Nuancen an. Um neue Eigenschaften zu erzielen oder die konstante Qualität zu sichern, werden Stähle mithilfe verschiedener Bildgebungsverfahren analysiert. Professor Frank Mücklich und sein Forschungsteam aus Saarbrücken haben hierzu über Jahre hinweg eine umfassende Expertise aufgebaut. Auf Basis ihrer mikroskopischen Analysedaten konnten sie eine Künstliche Intelligenz (KI) trainieren, die selbst kleinste Veränderungen im Stahl zuverlässig aufspürt.

Diese leistungsstarke KI soll nun als Standardwerkzeug für die Analyse metallischer und keramischer Werkstoffe in Industrielaboren dienen. Dafür kooperieren die Saarbrücker Forscher mit dem Schweizer Unternehmen Imagic, das auf die Entwicklung von Bilddatenbanken spezialisiert ist.

KI erkennt Stahlgefüge-Nuancen

Jeder Produktionsschritt – von der chemischen Zusammensetzung über das Walzverfahren bis hin zur Wärmebehandlung – beeinflusst das Gefüge, also die innere Struktur von Stahl und anderen Metallen. „Das Gefüge des Stahls ist äußerst komplex und je nach gewünschter Eigenschaft sehr unterschiedlich. Unter dem Mikroskop oder in der Computertomographie müssen aber auch kleinste Unterschiede erkannt und richtig klassifiziert werden. Dies leistet unser KI-gestütztes Verfahren nun automatisch“, erklärt Frank Mücklich, Professor für Funktionswerkstoffe der Universität des Saarlandes.

KI-Training durch interdisziplinäre Forschung

Um die Künstliche Intelligenz erfolgreich so zu trainieren, dass sie unterschiedliche Muster im Werkstoffgefüge nicht nur erkennt, sondern auch objektiv analysiert, war eine jahrelange Forschungsarbeit erforderlich. „An meinem Lehrstuhl sind dazu mehrere Dissertationen entstanden, die alle interdisziplinär ausgelegt waren. Wir haben dafür Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Informatik und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz mit ins Boot geholt, die ihre Methoden des maschinellen Lernens und der KI auf die Materialwissenschaft übertragen haben“, erläutert Frank Mücklich, der zudem das Steinbeis-Forschungszentrum für Werkstofftechnik (MECS) leitet. Durch die langjährige Kooperation dieses Transferinstituts mit dem saarländischen Stahlunternehmen Dillinger konnten die Wissenschaftler rund 10.000 Materialproben unterschiedlicher Stähle auf Mikro-, Nano- und atomarer Skala analysieren und in einer umfangreichen Datenbank erfassen.

Um Industrieunternehmen die selbstständige Durchführung von Analysen auf Basis ihrer umfangreichen Datenbank zu ermöglichen, ist das Steinbeis-Transferinstitut MECS eine strategische Partnerschaft mit der Schweizer Firma Imagic Bildverarbeitung AG eingegangen. Imagic ist spezialisiert auf die Entwicklung von Software für Mikroskopie, Bildanalyse und Bilddatenmanagement. „Wir bieten diesem Unternehmen die sogenannte Grundwahrheit, also überprüfte und seriöse Daten, die sich dazu eignen, die Künstliche Intelligenz zu trainieren und korrekte Ergebnisse damit zu erzielen. Bisher beziehen sich diese Werkstoffdaten auf Stahlsorten und verschiedene Metalle, wir wollen dies zudem auf alle anderen Metalle und Keramiken ausweiten“, erklärt Frank Mücklich.

Wissenstransfer und industrielle Anwendung

Der Materialwissenschaftler möchte das Expertenwissen rund um die Bildgebungsverfahren für Werkstoffe auf dem Saarbrücker Campus halten, um seinen Absolventinnen und Absolventen hochqualifizierte Arbeitsplätze zu sichern. „Im Steinbeis-Forschungszentrum MECS, das wir vor 15 Jahren aus der Universität ausgegründet haben, arbeiten jetzt schon mehrere meiner früheren Doktoranden und bringen ihr Fachwissen aus ihrer Forschungstätigkeit mit ein“, sagt Professor Mücklich.

Einer dieser Absolventen, Dominik Britz, heute stellvertretender Direktor des Transferinstituts und Träger mehrerer Forschungspreise für seine Doktorarbeit zur KI-gestützten Qualitätsprüfung von Stahl, betont die Wichtigkeit eines raschen Transfers der Forschungsergebnisse in die Praxis. „Mit unserer KI-gestützten Methode wollen wir – analog zu medizinischen Bildgebungsverfahren – die Analysen sicherer und schneller machen. Unsere Datengrundlage kann als Standard dafür dienen, wie Materialproben künftig zu bewerten sind. Damit lassen sich nicht nur neue Stahlsorten und Metalle entwickeln, sondern auch Materialfehler frühzeitig erkennen“, erklärt Dominik Britz.

Quelle

Universität des Saarlandes (11/2025)

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