Biologische Kondensate sind kleine, membranumschlossene Organellen, die sich innerhalb von Zellen befinden und in der Regel aus einer Kombination von Proteinen und Nukleinsäuren bestehen. Obwohl sie eine entscheidende Rolle in zahlreichen zellulären Prozessen spielen, gab es bislang keine geeigneten Methoden zur genauen Bestimmung ihrer molekularen Zusammensetzung.
Forschende der Brugués-Gruppe des Exzellenzclusters „Physik des Lebens“ der Technischen Universität Dresden haben in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden und dem Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik eine innovative Methode entwickelt. Diese neue experimentelle Technik ermöglicht es, die genaue Zusammensetzung von Kondensaten auch aus komplexen Gemischen abzuleiten.
Wie die Phasentrennung in unseren Zellen funktioniert
In unseren Zellen sind zu jeder Zeit Zehntausende verschiedener Moleküle aktiv. In diesem komplexen Umfeld verbinden sich Proteine oft mit RNA oder DNA und bilden über einen Prozess namens Phasentrennung „Tröpfchen“, die als biomolekulare Kondensate bekannt sind. Diese Kondensate steuern zahlreiche zelluläre Prozesse, doch die genaue Erforschung ihrer molekularen Zusammensetzung ist weiterhin ein zentrales Thema der aktuellen Forschung.
Es kommt auf das richtige Verhältnis an
„Wenn man etwas bauen will, kommt es nicht nur darauf an, welche Zutaten man verwendet, sondern auch wie viel. Die Verhältnisse sind entscheidend“, sagt Dr. Patrick McCall, unabhängiger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden (IPF) und Hauptautor der Studie. „Bei Kondensaten gilt genau dasselbe Prinzip. Wir wissen oft, welche Komponenten vorhanden sind, aber nicht die spezifischen Anteile innerhalb eines Kondensats, die letztendlich seine Zusammensetzung bestimmen.“ Die Mischung der Komponenten ist entscheidend für das Verhalten und die Wirkung eines Kondensats. Dies lässt sich gut mit dem Backen vergleichen: Ähnliche Zutaten können sowohl für Kuchen als auch für Kekse verwendet werden, aber nur die genauen Verhältnisse entscheiden darüber, was am Ende herauskommt.
Herausforderungen bei der Analyse von Kondensaten
Bisher wurden die Konzentrationsverhältnisse in biomolekularen Kondensaten oft mithilfe von fluoreszierenden Markierungen gemessen. Neuere Studien zeigen jedoch, dass diese Methode fehleranfällig ist. Die Marker können groß genug sein, um die Eigenschaften und das Verhalten der Moleküle zu verändern, und ihre Leuchtkraft ist innerhalb der Kondensate oft unzuverlässig. Obwohl markierungsfreie Methoden die Probleme der Fluoreszenzmarker umgehen, können sie meist nicht zwischen den verschiedenen Komponenten eines Kondensats unterscheiden. Aus diesem Grund waren zuverlässige Messungen bisher nur an stark vereinfachten, künstlich hergestellten Kondensaten im Labor möglich.
Neue Methode zur Analyse von Biomolekularen Kondensaten
Um die komplexe Zusammensetzung realistischer Kondensate zu entschlüsseln, war ein neuer, markierungsfreier Ansatz notwendig. Dr. Patrick McCall erkannte diese Forschungslücke bereits während seiner Postdoc-Zeit am Max-Planck-Institut für Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in den Laboren von Jan Brugués und Anthony Hyman. Aufbauend auf dieser langjährigen Zusammenarbeit hat seine Gruppe am Exzellenzcluster Physics of Life (PoL) nun eine bahnbrechende, neuartige und markierungsfreie Methode entwickelt. Die Ergebnisse ermöglichen die Messung der Zusammensetzung von Mehrkomponenten-Kondensaten. Dies stellt einen bedeutenden Fortschritt für das Verständnis der physikalischen Eigenschaften und Funktionen dieser Zellorganellen dar.
ATRI-Methode: Eine neue Art der Kondensat-Analyse
Die neu entwickelte ATRI-Methode (Analyse von Verbindungslinien und Brechungsindex) verbindet zwei physikalische Prinzipien, um die Zusammensetzung von Kondensaten zu bestimmen: den Brechungsindex und die Bindungslinie. Der Brechungsindex gibt an, wie stark Licht beim Durchgang durch ein Material gebrochen wird. Mit der quantitativen Phasenbildgebung (QPI), einer markierungsfreien Mikroskopie-Technik, konnten die Forschenden den Unterschied im Brechungsindex zwischen den Kondensaten und ihrer Umgebung messen. So ermittelten sie die Konzentration innerhalb der Kondensate. Bei Kondensaten, die nur aus einem einzigen Protein bestehen, liefert die QPI-Messung direkt eine Konzentrationsschätzung.
Die Bestimmung der Zusammensetzung von biomolekularen Kondensaten wird kompliziert, sobald mehr als eine Komponente enthalten ist, da unterschiedliche molekulare Kombinationen denselben Brechungsindex aufweisen können. Um diese Mehrdeutigkeit zu beheben, nutzt die neue ATRI-Methode (Analyse von Verbindungslinien und Brechungsindex) zusätzlich das Prinzip der Verbindungslinie.
Die Verbindungslinie ist ein fundamentales Konzept aus der physikalischen Chemie, das die Zusammensetzungen der beiden Phasen nach einer Phasentrennung (das Kondensat und die umgebende verdünnte Phase) mit der Gesamtzusammensetzung des Systems in Beziehung setzt. Der Schlüssel der ATRI-Methode liegt in der grafischen Kombination beider Konzepte: Die Messung des Brechungsindex und die Verbindungslinie erzeugen zwei Kurven, die sich an einem einzigen Punkt kreuzen. Dieser Schnittpunkt repräsentiert die genaue Zusammensetzung des Kondensats. Durch die Nutzung dieser beiden Messgrößen erstellt ATRI ein Gleichungssystem, das es ermöglicht, die Konzentrationen verschiedener Komponenten in einem Kondensat präzise zu bestimmen. Diese innovative Methode ist sogar bei Gemischen mit vielen unterschiedlichen Molekülen und bei sehr geringen Probenmengen anwendbar.
Neue Methode revolutioniert Kondensat-Forschung
Die neu entwickelte ATRI-Methode hat es den Forschenden ermöglicht, die Zusammensetzung komplexer Kondensate mit einer zuvor unerreichten Präzision zu entschlüsseln. Sie konnten die Konzentrationen von fünf verschiedenen Molekülen gleichzeitig bestimmen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gab es keine andere Methode, die die Bestimmung von mehr als zwei Proteinen in einem Kondensat ohne fluoreszierende Markierungen erlaubte, was die Bedeutung dieser Entdeckung unterstreicht. Die Fähigkeit, die Zusammensetzung von Kondensaten so genau zu quantifizieren, ermöglicht eine präzisere Vorhersage ihres Verhaltens und ihrer Eigenschaften. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für weitere Forschungen in diesem Bereich.
Auswirkungen der ATRI-Methode auf die Forschung
Die neue ATRI-Methode eröffnet Forschenden die Möglichkeit, zu untersuchen, wie biomolekulare Kondensate auf Schwankungen in der Konzentration ihrer Bestandteile reagieren. Dies ist vergleichbar mit der Nachahmung von Veränderungen in der Genexpression, wie sie natürlicherweise in Zellen vorkommen. Solche Experimente sind entscheidend, um den Einfluss einzelner Komponenten auf das Verhalten und die Funktion der Kondensate zu verstehen.
Über die Grundlagenforschung hinaus hat diese Methode auch großes Potenzial für die Biomedizin. Da Kondensate bei vielen Krankheiten eine Rolle spielen, könnte ATRI dabei helfen, die Reaktion von Kondensaten auf vielversprechende Wirkstoffe zu analysieren. In Zukunft könnte dies zur Entwicklung neuer, effektiverer Therapeutika und Behandlungsansätze beitragen.
Quelle
Technische Universität Dresden (09/2025)
Publikation
Patrick M. McCall, Kyoohyun Kim, Anna Shevchenko, Martine Ruer-Gruß, Jan Peychl, Jochen Guck, Andrej Shevchenko, Anthony A. Hyman, Jan Brugués. (2025): A label-free method for measuring the composition of multi-component biomolecular condensates. Nature Chemistry. DOI: 10.1038/s41557-025-01928-3
https://www.nature.com/articles/s41557-025-01928-3