Die Zunahme von antibiotikaresistenten Bakterien ist eine der größten globalen Gesundheitsbedrohungen. Jährlich sterben schätzungsweise 700.000 Menschen, weil Resistenzen der Erreger zu spät erkannt werden, was zu einer ineffektiven Therapie mit unwirksamen Antibiotika führt. Ein neues transatlantisches Forschungsprojekt unter der Leitung des Fraunhofer USA Center for Manufacturing Innovation CMI in Boston, in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS in Duisburg und dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart, zielt darauf ab, dieses Problem zu lösen.
Das Projekt entwickelt eine innovative Diagnostikplattform: ein mikrofluidisches Schnelltestsystem, das Kohlenstoff-Nanoröhrchen (SWCNT) nutzt, um bakterielle Resistenzen in nur wenigen Minuten nachzuweisen. Dieser Ansatz ist deutlich schneller als herkömmliche Methoden und soll dazu beitragen, dass Infektionen mit resistenten Keimen schneller erkannt und Patient:innen effektiver behandelt werden können.
Ein AST-Tool, das mit der Geschwindigkeit des Infektionsgeschehens Schritt halten kann
„Die klinische Mikrobiologie braucht dringend flexible und schnelle AST-Tools, die mit der Geschwindigkeit des Infektionsgeschehens Schritt halten können“, erklärt Jan Stegemann, Projektleiter am Fraunhofer IMS. „Unser Ziel ist eine funktionale Plattform, die noch deutlich vor dem Zelltod des Erregers metabolische Veränderungen als zelluläre Stressreaktion auf ein Antibiotikum erkennt und so eine frühzeitige, evidenzbasierte Therapieentscheidung unterstützt.“
Aktuelle Diagnosesysteme, die auf dem Zellwachstum in Mikrotiterplatten basieren, benötigen 8 bis 16 Stunden, um Ergebnisse zu liefern. Das neue Projekt µFLOWDx will dies grundlegend ändern, indem es eine Plattform entwickelt, die in nur wenigen Minuten verwertbare Erkenntnisse liefert und damit einen potenziellen Durchbruch für die Forschung, klinische Praxis und Pharmaindustrie ermöglicht.
Das interdisziplinäre Forschungsteam verfolgt einen innovativen Ansatz: Damit der schnelle Nachweis funktioniert, müssen die aus Patientenproben stammenden Bakterien zum einen in der Messzelle angebunden werden. Dazu wird das mikrofluidische System der Diagnostikplattform mit speziellen Oberflächen ausgestattet, die eine hohe Adhäsion zu den Erregern zeigen. Zum anderen beinhaltet das System hochsensitive optische Sensoren auf Basis von fluoreszierenden Kohlenstoff-Nanoröhrchen. Werden als Reaktion auf ein Antibiotikum Moleküle freigesetzt, die zellulären Stress anzeigen, etwa ATP oder Wasserstoffperoxid (H₂O₂), verändern die Sensoren ihre Fluoreszenz. Die Resistenz der Bakterien wird in Echtzeit überwacht, indem sie mit typischen Antibiotika überspült werden. Bleibt das Fluoreszenzsignal unverändert, ist der Erreger gegen das getestete Antibiotikum resistent.
Interdisziplinäres Projektteam
Um ihr Ziel zu erreichen, bündeln die Projektpartner ihre unterschiedlichen Expertisen: Das Fraunhofer IGB entwickelt Oberflächenmodifikationen, die eine hohe Haftung der Bakterien in dem mikrofluidischen System gewährleisten. Das Fraunhofer IMS steuert seine Expertise in der Entwicklung hochsensitiver optischer Biosensoren auf Basis von Kohlenstoff-Nanoröhrchen bei, um zelluläre Stressmoleküle zu detektieren. Das Fraunhofer USA CMI integriert diese beiden Komponenten in die mikrofluidische Plattform.
Das Projekt zielt darauf ab, einen funktionsfähigen Prototyp zu entwickeln, der unter realen Bedingungen validiert werden kann. Langfristig ist auch eine Kommerzialisierung als Diagnostik-Tool geplant. Erste Marktanalysen deuten auf ein großes Interesse hin. Obwohl der Markt für klinische Mikrobiologie wächst und von international führenden Unternehmen dominiert wird, gibt es keine vergleichbaren Lösungen, die eine so hohe Geschwindigkeit und Sensitivität bieten.
Quelle
Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB (09/2025)