Chemiker:innen der ETH Zürich haben einen bahnbrechenden Erfolg erzielt, indem sie die Bewegung von Elektronen in spiegelbildlichen Molekülen mit extrem kurzen, drehenden Lichtblitzen gemessen und kontrolliert haben. Diese Errungenschaft zeigt, dass die Händigkeit von Molekülen, bekannt als Chiralität, nicht nur eine strukturelle, sondern auch eine elektronische Eigenschaft ist.
Was ist Chiralität?
Das Konzept der Chiralität lässt sich am einfachsten mit unseren Händen erklären: Obwohl sie strukturell identisch sind, sind die linke und die rechte Hand räumlich unterschiedlich angeordnet und verhalten sich wie ein Bild und sein Spiegelbild. Sie sind nicht deckungsgleich, weshalb ein linker Handschuh nicht auf die rechte Hand passt.
Ähnlich verhält es sich mit vielen Molekülen, die in zwei spiegelbildlichen Versionen existieren. Obwohl sie zum Verwechseln ähnlich aussehen, sind sie nicht identisch. Diese Eigenschaft spielt eine entscheidende Rolle in der Biologie, Chemie und Pharmazie. Viele Bausteine des Lebens wie DNA, Aminosäuren und Proteine sind chiral und kommen oft nur in einer bestimmten links- oder rechtshändigen Version vor. Dies ist besonders wichtig in der Medizin: Ein chirales Medikament kann je nach seiner Händigkeit wirksam, wirkungslos oder sogar schädlich sein. Chiralität wird gemeinhin als Eigenschaft der Struktur betrachtet. „Jüngst mehren sich jedoch Hinweise, dass der strukturelle Ansatz nicht ausreicht, um chirale Phänomene vollständig zu verstehen“, sagt Hans Jakob Wörner, Professor für physikalische Chemie an der ETH Zürich.
Bis vor Kurzem war kaum erforscht, dass sich die Elektronen, die kleinsten und schnellsten Bausteine von Atomen, in chiralen Molekülen unterschiedlich bewegen, je nachdem, ob diese links- oder rechtshändig sind. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Wörner hat nun erstmals eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, die Emission von Elektronen aus diesen Molekülen in Echtzeit sichtbar zu machen und gezielt zu steuern.
Vorgänge auf der Attosekunden-Skala
Die Wissenschaftler unter Wörners Leitung haben einen faszinierenden Effekt untersucht, der auftritt, wenn chirale Moleküle mit zirkular polarisiertem Licht bestrahlt werden. Dieses Licht, das sich wie ein Korkenzieher spiralförmig dreht, stößt in den ersten Momenten nach dem Kontakt ein Elektron aus dem Molekül. Das Besondere daran: Je nach Händigkeit des Moleküls und Drehrichtung des Lichts wird das Elektron entweder in oder entgegen der Ausbreitungsrichtung des Lichts weggeschleudert.
Der photoelektrische Zirkulardichroismus (PECD)
In ihrer Studie gelang es den Forschenden, diesen Effekt, der als Photoelektrischer Zirkularer Dichroismus (PECD) bekannt ist, nicht nur zu messen, sondern auch zu verstärken, zeitlich zu steuern und sogar umzukehren. Möglich wurde diese bahnbrechende Messung durch eine Art Blitzgerät für Elektronen, das in seiner Präzision einzigartig ist. Es erzeugt zirkular polarisierte Attosekundenpulse. Diese Lichtblitze, die eine zeitliche Auflösung von einem Milliardstel einer Milliardstelsekunde ermöglichen, sind notwendig, um die extrem schnelle Dynamik von Elektronen auf ihrer natürlichen Attosekunden-Skala zu beobachten. Ihre eigene Drehrichtung erlaubt es den Pulsen, erstmals auch die Händigkeit der Elektronenbewegungen zu erfassen.
Durch die Kombination dieser Pulse mit einem zeitlich überlagerten, ebenfalls zirkular polarisierten Infrarotstrahl, konnten die Forschenden nicht nur die Geschwindigkeit der Elektronen nach der Anregung messen, sondern auch steuern, in welche Richtung sich das Elektron bevorzugt bewegt. Dies hängt von der Händigkeit der Probe, der Drehrichtung der Lichtstrahlen und deren Phasenverschiebung ab.
Grundlagenforschung mit Anwendungspotenzial
Die Erkenntnisse ermöglichen einen neuen Zugang zu Chiralität: „Wir verstehen Händigkeit nicht mehr nur als statisches Merkmal der Molekülstruktur, sondern auch als dynamisches Verhalten von Elektronen in chiralen Systemen“, sagt Meng Han, Erstautor der Studie. Die Händigkeit als kontrollierbares elektronisches Phänomen wurde bislang nur vermutet, war aber experimentell nicht zugänglich, weil schlicht die Technologie dazu fehlte.
In Zukunft könnte diese bahnbrechende Attosekunden-Technologie dazu beitragen, die Chiralität medizinischer Wirkstoffe mit einer höheren Empfindlichkeit zu bestimmen. Darüber hinaus könnte sie zur Klärung grundlegender Fragen über den Ursprung der Händigkeit des Lebens beitragen. Diese Methode eröffnet auch neue Wege für das zeitaufgelöste Studium chiraler Prozesse auf elektronischer Ebene. So könnte sie die Entwicklung neuer Ansätze in Bereichen wie der Informationsverarbeitung und Spintronik, den molekularen Maschinen oder der Biosensorik vorantreiben.
Quelle
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (08/2025)
Publikation
Han M, Ji JB, Blech A, Goetz RE, Allison C, Greenman L, Koch CP, Wörner HJ: Attosecond control and measurement of chiral photoionization dynamics. Nature, 27 August 2025. doi: 10.1038/s41586-025-09455-4, https://doi.org/10.1038/s41586-025-09455-4