Einem Forschungsteam der Universitätsmedizin Greifswald ist es gelungen, ein neuartiges Verfahren zu entwickeln, das die Verfolgung und Charakterisierung von regulatorischen DNA-Sequenzen direkt in lebenden Zellen ermöglicht. Diese Sequenzen sind entscheidend für die Genexpression, also den Prozess, bei dem die in einem Gen enthaltene Information zur Herstellung von beispielsweise Proteinen genutzt wird. Mit der neuen Methode kann dieser Regulationsmechanismus nun präzise überwacht und in Echtzeit in der Zelle untersucht werden. Dafür hat das Team ein genetisches Konstrukt entwickelt, das mittels Fluoreszenz-Messung die Genregulation über einen längeren Zeitraum messbar macht – ein signifikanter Fortschritt gegenüber herkömmlichen Verfahren, bei denen Zellen vor der Analyse getötet werden müssen.
„Unser neu entwickeltes Verfahren lässt sich universell anwenden“, betont Dr. Alexander Reder, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Interfakultären Institut für Genetik und Funktionelle Genomforschung. „Was wir erfolgreich anhand eines Modell-Bakteriums angewendet haben, lässt sich im Prinzip auf jede andere Zelle übertragen.“ Damit zeige sich, welche Bedeutung diese Ergebnisse aus der Grundlagenforschung für die Anwendung in der Praxis haben können: „Mit dem System ließen sich zum Beispiel Punktmutationen in bestimmten regulatorischen Sequenzen untersuchen, die im Zusammenhang mit veränderter Genexpression seltener Erkrankungen stehen“, so Reder weiter.
Genexpressions-Analyse in Echtzeit: Schnell, präzise, lebendig
Die neue Methode bringt gleich mehrere Vorteile mit sich: Sie ist schnell, präzise und liefert Ergebnisse direkt in lebenden Zellen, was aufwendige Probenvorbereitungen und teure OMICS-Verfahren überflüssig macht. Bisher mussten Zellen getötet werden, bevor Proteine oder RNA isoliert und dann mit Methoden wie Transkriptom- oder Proteom-Technologien untersucht werden konnten. Solche Abläufe sind laut Reder oft sehr zeitintensiv, wenig flexibel und spiegeln nicht das wider, was tatsächlich in einer einzelnen Zelle geschieht. Ein weiteres großes Problem ist die Verfolgung des zeitlichen Ablaufs: „Wenn man die Zellen zu einem bestimmten Zeitpunkt getötet hat, wäre der Ist-Zustand zwar zunächst messbar – fünf Minuten später oder am nächsten Tag ist er allerdings nicht mehr beobachtbar“, erklärt Reder.
Das neu entwickelte pHIS-Plasmidsystem revolutioniert die Beobachtung der Genexpression in lebenden Zellen. Es nutzt zwei Reportergene, die bei einer Fluoreszenz-Messung entweder grün oder blau aufleuchten. Dadurch können Forschende die von zwei regulatorischen Bereichen gesteuerten Zustände der Genexpression in Echtzeit verfolgen.
Der Clou des Systems liegt in seiner cleveren Kontrollfunktion: Ein „blaues“ Reportergen wird durch einen „normalen“ regulatorischen Bereich gesteuert und dient als interne Kontrolle. Spezifische Sequenzveränderungen können dann in diese Sequenz eingebaut und vor das zweite, „grüne“ Reportergen gesetzt werden. So lässt sich die mutierte oder fehlerhafte Genexpression direkt mit der normalen vergleichen.
Dr. Alexander Reder erklärt: „Man kann auch unterschiedliche Stimuli einsetzen.“ Das bedeutet, Forschende können Zellen unter Kontrollbedingungen wachsen lassen oder sie gezielt Stressfaktoren wie Alkohol, Salz oder Kälte aussetzen. Dadurch wird es möglich, parallel verschiedene Bedingungen zu untersuchen und so ein tieferes Verständnis von Genen und ihren Regulationsmechanismen zu gewinnen.
„Das neue pHIS-System ist nicht nur ein wichtiger Fortschritt in der Grundlagenforschung, sondern wird auch eine wesentliche Rolle bei der praktischen Anwendung spielen – etwa in der Medizin, in der Biotechnologie oder im Bereich der Medikamentenentwicklung“, wie Prof. Karlhans Endlich, Wissenschaftlicher Vorstand der Unimedizin Greifswald, betont. Das System helfe zu verstehen, wie Bakterien auf Stress – zum Beispiel durch Antibiotika – reagieren. „Wenn wir wissen, welche Gene bei Angriffen hochgefahren werden, können neue Medikamente gezielt diese Schutzmechanismen blockieren – und so Resistenzen bekämpfen“, so Endlich.
Quelle
Informationsdienst Wissenschaft e. V. / Universität Greifswald (07/2025)
Publikation
Characterization of the MgsR-dependent promoter structure in Bacillus subtilis—application of a novel pHIS plasmid-based screening system for promoter element analysis
https://academic.oup.com/nar/article/53/13/gkaf636/8196072
Nucleic Acids Research, Volume 53, Issue 13, 22
https://doi.org/10.1093/nar/gkaf636