Ein Vergleich von genetischen Daten aus der ganzen Welt zeigt viele allgemeine sowie eine bevölkerungsspezifische genetische Veranlagung für die neurogenerative Krankheit Alzheimer. Die Ergebnisse ermöglichen präzisere und inklusivere Behandlungsmöglichkeiten. Eine aktuelle internationale Studie, koordiniert vom Konsortium der European Alzheimer‘s and Dementia Biobank (EADB), liefert wichtige Einblicke in die genetischen Risikofaktoren der Alzheimer-Krankheit. Sie beleuchtet, welche dieser Faktoren in verschiedenen Bevölkerungsgruppen existieren und welche universell verbreitet sind. Diese Untersuchung ist die erste weltweite ihrer Art, die polygenen Risikoscores (PRS) und deren Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken, genauer unter die Lupe nimmt. Ein PRS ist ein Wert, der die geschätzte genetische Anfälligkeit einer Person für bestimmte Krankheiten misst.
Die Forschenden analysierten dafür Daten von Bevölkerungsgruppen aus Europa, Asien, Afrika, Nordamerika, Südamerika und Australien. Von der Universität zu Köln waren Professor Dr. Dr. Alfredo Ramirez und sein Team von der Abteilung für Neurogenetik der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Köln sowie vom Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD an dieser wegweisenden Studie beteiligt.
Zwei genetische Signaturen der Alzheimer-Krankheit identifiziert
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die Entdeckung von zwei unterschiedlichen genetischen Signaturen für die häufigeren, komplexen Formen der Alzheimer-Krankheit. Die erste Signatur wird primär durch einen einzelnen genetischen Faktor, das Apolipoprotein E (APOE), bestimmt. Im Gegensatz dazu ist die zweite Signatur das Ergebnis der Kombination und Interaktion von etwa 75 weiteren genetischen Varianten.
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die zweite Signatur in allen untersuchten Populationen weitgehend übereinstimmt. Dies deutet auf einen gemeinsamen biologischen Mechanismus hin, der für einen erheblichen Teil des weltweiten Alzheimer-Risikos verantwortlich ist.
Köln als Vorreiter in der Alzheimer-Genetik: Fokus auf globale Vielfalt
Seit über acht Jahren widmen sich Professor Ramirez und sein Team in Köln der Genetik der Alzheimer-Krankheit, insbesondere in bisher wenig untersuchten Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise aus Lateinamerika. Als einer der Studienleiter und Mitglied des EADB-Lenkungsausschusses koordiniert Professor Ramirez die Forschungsvorhaben des Konsortiums zur genetischen Vielfalt von Alzheimer. Diese wegweisende Arbeit hat bereits wichtige Ergebnisse geliefert, die besonders für lateinamerikanische Kohorten von großer Bedeutung sind.
Angesichts der zunehmenden genetischen Vielfalt in unterschiedlichen Ländern ist es entscheidend zu verstehen, welche Risikofaktoren bevölkerungsspezifisch sind und welche in allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen vorkommen. Diese Forschungsarbeit besitzt immense Bedeutung für die Präzisionsmedizin. Sie ermöglicht es, Präventionsmaßnahmen und Behandlungsmethoden für Krankheiten optimal auf die genetische Beschaffenheit von Einzelpersonen und ganzen Bevölkerungsgruppen zuzuschneiden.
Wie polygene Risikoscores das Alzheimer-Risiko vorhersagen
Die Wissenschaftler ermittelten die polygenen Risikoscores basierend auf der neuesten Genome-Wide Association Study (GWAS) zur Alzheimer-Krankheit, die 2022 in Nature Genetics veröffentlicht wurde. Diese umfassende statistische Übersicht enthält eine genomweite Liste aller genetischen Varianten, die mit der Krankheit in Verbindung stehen, und quantifiziert den Beitrag jeder einzelnen Variante zum Gesamtrisiko. Anhand der Unterscheidung zwischen Personen, die an Alzheimer erkrankt sind, und gesunden Kontrollpersonen in der Datenbank, konnten die Forschenden feststellen, wie präzise der PRS-Wert zwischen diesen Gruppen differenziert.
APOE-Gen: Ein variabler Risikofaktor für Alzheimer
Die aktuelle Studie hat gezeigt, dass die Auswirkungen des APOE-Gens in verschiedenen Populationen stark variieren, im Gegensatz zu den anderen 75 genetischen Varianten, die weltweit als allgemeine Risikofaktoren für Alzheimer gelten. Diese Variabilität bei APOE könnte auf noch unbekannte genetische Unterschiede innerhalb der Genomregion zurückzuführen sein, in der sich das APOE-Gen befindet. Dies deutet darauf hin, dass APOE eine zentrale Rolle bei den unterschiedlichen Prävalenz- und Risikowerten von Alzheimer in verschiedenen ethnischen und regionalen Gruppen spielt.
Polygener Risikoscore: Ein präzises Instrument für Alzheimer-Forschung und Diagnose
Die Studie zeigte außerdem, dass die polygenen Risikoscores in allen untersuchten Populationen spezifisch für die Alzheimer-Krankheit sind und nicht für Demenz im weiteren Sinne. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer genauen klinischen Diagnose. Das Ergebnis deutet zudem darauf hin, dass polygene Risikoscores ein vielversprechendes Instrument zur Verbesserung klinischer Studien sein könnten. Wissenschaftler könnten damit Personen mit einem hohen genetischen Risiko für Alzheimer präzise identifizieren und gleichzeitig Individuen mit potenziellen diagnostischen Unsicherheiten ausschließen.
Alfredo Ramirez sagt: „In einer Zeit, in der Einwanderung und Vielfalt zunehmend politisiert werden, unterstreicht diese Studie die Bedeutung integrativer Wissenschaft. Bisher befassten sich die meisten Forschungsarbeiten mit Personen europäischer Abstammung, die in Industrieländern leben. Das stellte die Verallgemeinerbarkeit und Gerechtigkeit hinsichtlich unterversorgter Bevölkerungsgruppen aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen und unterschiedlicher ethnischer Herkunft infrage. Unserer Studie zeigt, wie globale Zusammenarbeit und die Berücksichtigung der genetischen Vielfalt nicht nur das wissenschaftliche Verständnis verbessern, sondern auch die gesundheitliche Chancengleichheit und Integration fördern. Unsere Forschungsarbeit verdeutlicht, dass die globale Gesundheit nur verbessert werden kann, wenn die Wissenschaft alle Menschen berücksichtigt und ihnen gleichermaßen dient, unabhängig von ihrer Herkunft.“
Die neue Studie trägt maßgeblich dazu bei, die zugrunde liegende Biologie der Alzheimer-Krankheit besser zu verstehen, indem sie genetische Komponenten vergleicht und analysiert. Damit ebnet sie den Weg für umfassendere, wirksamere und gezieltere Behandlungsstrategien. Die Autor:innen der Studie sehen darin einen großen Fortschritt im weltweiten Kampf gegen die Alzheimer-Krankheit.
Quelle
Publikation
Transferability of European-derived Alzheimer‘s disease polygenic risk scores across multiancestry populations
https://www.nature.com/articles/s41588-025-02227-w