Genetik: Wie springende DNA das Erbgut umkrempelt

21. Mai 2025

Das menschliche Erbgut ist dynamischer als lange angenommen: Fast die Hälfte unserer DNA besteht aus Transposons, kurzen Abschnitten, die ihre Position im Genom verändern können. Diese „springenden Gene“ verteilen sich dabei nicht zufällig, sondern treten oft in Clustern auf. Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben nun den Mechanismus hinter dieser Gruppierung entschlüsselt. Ihre Entdeckung zeigt, dass ein physikalischer Effekt, der die räumliche Organisation des Erbguts beeinflusst, für diese Anhäufungen verantwortlich ist.

Ein erheblicher Teil unseres Genoms besteht aus sich wiederholenden DNA-Sequenzen, den sogenannten Transposons. Diese spielen eine wichtige Rolle in Prozessen wie der frühen Embryonalentwicklung und der Steuerung der Genexpression. Transposons besitzen die Fähigkeit, ihre Position innerhalb des Erbguts zu verändern. Allerdings können sie nicht willkürlich in die DNA integrieren, da unsere DNA im Zellkern nicht als lose Kette vorliegt, sondern in einer kompakten Struktur namens Chromatin gefaltet ist.

Einige Bereiche des Chromatins sind dabei besonders dicht gepackt und für Transposons schwer zugänglich. Aufbauend auf diesem Wissen hat ein Forschungsteam um Professor Lennart Hilbert am Institut für Biologische und Chemische Systeme des KIT nun eine schlüssige Erklärung für die beobachtete Gruppenbildung der Transposons gefunden. „Transposons können das Erbgut an bestimmten Stellen ‚auffalten‘ und machen es damit für weitere Transposons zugänglich“, erläutert Hilbert. „So entsteht eine positive Rückkopplung: Ein Transposon lockert die lokale Struktur der DNA, und weitere folgen. Aus vereinzelten Sprüngen werden Landungen in Gruppen.“

Computersimulation der Gruppenbildung von Transposons

Die Wissenschaftler entwickelten eine detaillierte Computersimulation, um diesen Prozess nachzubilden. In dieser Simulation entfaltete sich die DNA mit jeder neu eingefügten Transposon-Kopie schrittweise. Dadurch dehnten sich die betroffenen Bereiche des Erbguts aus, und es bildeten sich Schleifen, in denen sich die neu hinzugekommenen Transposons ansammelten. Die Simulation zeigte somit, wie die Insertion weiterer Transposons die lokale Struktur des Chromatins verändert und zur beobachteten Gruppenbildung führt.

Evolution zähmt Transposons

Eine zusätzliche Überraschung ergab sich bei der Analyse der mechanischen Eigenschaften von Transposons im Laufe der Evolution. Die meisten dieser Elemente sind heute inaktiv, springen also nicht mehr, haben jedoch über Jahrmillionen hinweg die Architektur der Genome umgestaltet. „Wir haben herausgefunden, dass Transposons, die aktuell oder bis noch vor relativ kurzer Zeit aktiv gesprungen sind, besonders flexibel sind“, so Hilbert „Je länger die Phase des aktiven Springens für ein Transposon in der Evolutionsgeschichte zurückliegt, desto weniger flexibel werden die Transposons. Diese unerwartete Eigenschaft deutet daraufhin, dass Transposons im Laufe der Evolution in ihrer Fähigkeit zu springen ‚gezähmt‘ werden.“

Die gewonnenen Erkenntnisse über das Verhalten von Transposons sind für die Forschung von großer Bedeutung, um die evolutionäre Formung von Genomen über lange Zeiträume hinweg zu verstehen. Darüber hinaus spielen sie eine wichtige Rolle beim Verständnis der Entstehung verschiedener Krankheiten. Von besonderem Interesse sind hierbei die LINE-1-Transposons (Long Interspersed Nuclear Element-1), eine Familie sich wiederholender DNA-Sequenzen, die einen beträchtlichen Anteil des menschlichen Genoms ausmachen. Diese LINE-1-Elemente können während der Entstehung von Krebs reaktiviert werden und ihre „Sprungaktivität“ wieder aufnehmen. Ihre unkontrollierte Bewegung innerhalb des Erbguts kann dann zu Mutationen führen, die die Entstehung von Krebs begünstigen.

Quelle:

Karlsruher Institut für Technologie (05/2025)

Publikation:

Roshan Prizak, Aaron Gadzekpo, Lennart Hilbert: Chromatin unfolding via loops can drive clustered transposon insertion, Biophysical Journal, 2025. DOI: https://doi.org/10.1016/j.bpj.2025.03.038

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