An der TU Berlin wird im Masterstudiengang Biotechnologie der einwöchige Laborkurs „Nukleinsäuretechnologien“ im Modul „Molekulare Medizin“ in Zukunft komplett auf tierische Hilfsstoffe und Methoden verzichten. Ziel ist es, den Studierenden zu zeigen, wie Forschung nicht nur ohne Tierversuche, sondern gänzlich ohne tierbasierte Verfahren möglich ist.
Dieser Ansatz reduziert nicht nur Tierleid, sondern führt auch zu verlässlicheren Forschungsergebnissen. Tierische Produkte unterliegen oft Qualitätsschwankungen und können die Aussagekraft humanmedizinischer Forschung beeinträchtigen. Das Fachgebiet Angewandte Biochemie hat das gesamte Praktikumsprotokoll des Laborkurses als Open Source veröffentlicht, damit auch andere Universitäten diese tierfreien Methoden übernehmen können.
Einige Forschungsreinrichtungen arbeiten mittlerweile daran, mit Hilfe von Alternativmethoden Tierversuche zu ersetzen oder sie zumindest zu reduzieren. An der TU Berlin beschäftigt sich etwa Prof. Dr. Jens Kurreck, der Leiter des Fachgebiets „Angewandte Biochemie“, mit Organmodellen, die mit Hilfe von 3D-Druck aus menschlichen Zellen hergestellt werden. Diese können als Alternative zum Einsatz von Labortieren in Experimenten dienen. „Was viele nicht wissen: Auch die Hilfsstoffe und Methoden, die wir in ganz normalen zell- und molekularbiologischen Laboren verwenden, sind oft tierischen Ursprungs“, erklärt Kurreck. Als Nährmedium für die Vermehrung von Zellen etwa wird meist „fötales Kälberserum“ verwendet – das aus den Kälbern trächtiger Kühe gewonnen wird.
In Deutschland ist es eigentlich verboten, trächtige Kühe zu schlachten
Die Substanz, die auch als fötales bovines Serum (FBS) bekannt ist, hat eine problematische Herkunft. Obwohl in Deutschland die Schlachtung trächtiger Tiere verboten ist, gibt es in anderen Ländern weniger strenge Gesetze. Dort kann es vorkommen, dass trächtige Kühe geschlachtet werden. In solchen Fällen wird dem Fötus Blut entnommen, da es wachstumsfördernde Substanzen enthält. Diese machen es ideal für die Zellvermehrung in der biologischen Forschung, stehen aber im Widerspruch zu ethischen Standards. „Eine Veröffentlichung von 2021 geht von weltweit zwei Millionen so genutzter Kälberföten pro Jahr aus, und seitdem hat der Verbrauch von FBS eher zugenommen“, sagt Kurreck. Ein Großteil davon komme aus Schlachtungen im Nicht-EU-Ausland und könne daher nur schlecht von deutschen oder europäischen Institutionen überwacht werden.
Kommerzielle Ersatzprodukte geben häufig ihre Zusammensetzung nicht an
Die Verwendung von FBS birgt nicht nur ethische Bedenken, sondern auch wissenschaftliche Probleme. Als tierisches Produkt unterliegt FBS natürlichen Schwankungen in seiner Zusammensetzung. In der renommierten Fachzeitschrift Nature wurde FBS daher als wesentlicher Grund für die Variabilität in Zellkulturexperimenten identifiziert. Die Autoren betonten die dringende Notwendigkeit, standardisierte und klar definierte Alternativen zu entwickeln, um die Reproduzierbarkeit der Forschungsergebnisse zu verbessern. „Für einige Zell-Linien gibt es zwar mittlerweile kommerziell erhältliche Ersatzprodukte für FBS, aber diese sind teuer und ihre genaue Zusammensetzung wird von den Firmen geheim gehalten. Auch hier kann man also nicht wissen, welchen Einfluss das Nährmedium spielt, wenn sich zum Beispiel die Ergebnisse von anderen Forschungsgruppen im eigenen Labor nicht reproduzieren lassen.“
Eigenes, tierfreies Nährmedium entwickelt
Um die Anforderungen ihres Laborkurses zu erfüllen, hat das Fachgebiet Angewandte Biochemie ein eigenes Nährmedium entwickelt. Dessen genaue Zusammensetzung aus Wachstumsfaktoren, Insulin, Selen, Zuckern und Salzen wurde in einem Manuskript veröffentlicht. Zusätzlich ersetzten die Wissenschaftler:innen das normalerweise aus Schweinen gewonnene Enzym Trypsin. Sie fanden einen Ersatzstoff, der ebenfalls in der Lage ist, die in Kulturflaschen vermehrten Zellen von der Wand abzulösen. „Wir haben hier ein Alternativprodukt benutzt, bei dem das Enzym in Bakterienkulturen hergestellt wird“, so Kurreck.
Herstellung von Antikörpern mit Phagen
Ein weiteres Gebiet, bei dem bisher stets auf Ausgangsmaterialien tierischen Ursprungs zurückgegriffen wurde, ist die Arbeit mit Antikörpern. „Traditionell werden hierfür Tiere immunisiert und dann aus ihrem Blut die Antikörper extrahiert“, erzählt Jens Kurreck. „Wir haben für unseren Kurs soweit möglich auf Antikörper zurückgegriffen, die von Firmen mit Hilfe des sogenannten Phage-Display selektiert wurden. Phagen sind spezielle Viren, die nicht Menschen oder Tiere, sondern Bakterien angreifen. Sie haben die besondere Eigenschaft, dass man leicht DNA-Abschnitte in sie einschleusen kann.“ Es existieren bereits Mischungen von Phagen, wobei in die verschiedenen Phagen jeweils die DNA-Sequenz für einen der vielen Milliarden Antikörper des Menschen eingebracht wurde. Die jeweilige Phage bildet dann an ihrer Oberfläche genau diesen Antikörper aus. Für die Produktion einer gewünschten Sorte von Antikörpern muss man dann nur das entsprechende Antigen solch einer „Phagen-Bibliothek“ präsentieren. Nur die Phagen mit dem passenden Antikörper bleiben daran hängen und man kann die nicht passenden auswaschen. „In mehreren solcher Selektionsrunden kann man so Antikörper selektieren und anschließend in beliebiger Menge herstellen“, sagt Kurreck.
Für die neue Generation sollen tierfreie Methoden ganz normal sein
„Unser Ziel ist es, eine junge Generation von Wissenschaftler*innen auszubilden, für die diese ganzen ausgefeilten Methoden die normale Laborarbeit darstellen. Denn wie schon Max Planck erkannt hat: Neue wissenschaftliche Paradigmen setzen sich selten dadurch durch, dass sie ihre Gegner überzeugen, sondern vielmehr durch das allmähliche Aufkommen einer neuen Generation, die von Anfang an mit diesen Ideen vertraut ist“, erklärt Jens Kurreck. Und ein Paradigmenwechsel sei bitter nötig. „90 Prozent aller zunächst aussichtsreichen Kandidaten für Arzneimittel scheitern letztlich bei der Erprobung am Menschen. Will man hier besser werden, muss das Ziel sein, irgendwann ganz ohne Tierversuche und auch ganz ohne tierische Hilfsstoffe und -methoden auszukommen. Unser aktuelles Bestreben ist es, sämtliche Laborkurse ab 2026 ohne FBS durchzuführen und die Studierenden in tierfreien Methoden auszubilden.“