Ein Nanobody gegen Herpes

10. September 2025

Jedes Jahr stecken sich weltweit über 40 Millionen Menschen mit dem Herpesvirus an. Während die Infektion für die meisten Betroffenen unangenehm ist, stellt sie für Neugeborene und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem eine ernsthafte Bedrohung dar. Forschende aus Hamburg und Göttingen haben nun einen Mini-Antikörper entdeckt, der ein für die Infektion entscheidendes Protein neutralisiert. Diese Erkenntnis könnte in Zukunft dabei helfen, schwere Herpesinfektionen zu behandeln und zu verhindern.

Einmal im Körper, bleibt das Herpesvirus lebenslang und versteckt sich inaktiv in den Nervenzellen. Erst bei einer „günstigen Gelegenheit“, etwa bei Stress oder einem geschwächten Immunsystem, wird das Virus wieder aktiv und vermehrt sich. Rund 60 Prozent der Menschen tragen das Herpes-Simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) in sich, das Lippenherpes verursacht. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung leiden an Genitalherpes, der hauptsächlich durch das sexuell übertragbare Virus HSV-2, aber auch durch HSV-1 ausgelöst wird.

Während eine Herpesinfektion für gesunde Menschen meist nur schmerzhaft und unangenehm ist, kann sie bei Vorerkrankungen schwerwiegende, sogar tödliche, Folgen haben, da sie das zentrale Nervensystem beeinträchtigen kann. Neugeborene sind besonders gefährdet: Wenn eine Mutter während der Geburt eine aktive Herpesinfektion hat, kann das Virus auf das Baby übertragen werden. Dieser sogenannte neonatale Herpes führt oft zu bleibenden neurologischen Schäden und kann tödlich sein.

Schmerzhaft und gefährlich: Was eine Herpesinfektion gefährlich macht

Um eine Zelle zu infizieren, dockt das Herpesvirus an deren Oberfläche an und verschmilzt dann seine Hülle mit der Zellmembran. Anschließend schleust es sein Erbgut in die Zelle, um sich zu vermehren. Ein entscheidender Faktor bei diesem Prozess ist das Protein Glykoprotein B (gB). Es nutzt seine Energie, um die Verschmelzung der Membranen zu bewirken. Dabei verändert es seine Form, was es zu einem vielversprechenden Ziel für Medikamente macht. Bisher gibt es jedoch keine antiviralen Wirkstoffe, die auf gB abzielen, da wichtige Bereiche des Proteins schwer zugänglich oder geschützt sind.

Struktur des Herpesvirus Fusionsproteins

Forschende des Leibniz-Instituts für Virologie, der Universität Hamburg, des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und des Göttinger Max-Planck-Instituts haben den gB-Komplex stabilisiert, und zwar in seiner fusionsbereiten Form, die bisher nicht zugänglich war. Mithilfe von Kryo-Elektronenmikroskopie, Bildanalyse und Struktur-Modellierung konnten sie seine hochauflösende Struktur bestimmen. Die Kryo-EM-Technologieplattformen am Centre for Structural Systems Biology (CSSB) in Hamburg waren dafür entscheidend.

Alpaka-Nanobody neutralisiert Fusionsprotein

Ein Forschungsteam aus Göttingen hat aus geimpften Alpakas einen Mini-Antikörper, auch Nanobody genannt, isoliert, der das Protein gB bereits in sehr geringen Mengen neutralisiert. Dieser Nanobody bindet an die fusionsbereite Form von gB und verhindert dadurch die Bewegungen und Energieabgabe, die für die Verschmelzung der Membranen notwendig sind.

Alpakas, Lamas und andere Kamele besitzen einfach aufgebaute Antikörper, die im Labor zu Nanobodies verkleinert werden können. Forschende der Gruppe von Kay Grünewald produzierten dafür eine spezielle gB-Zubereitung, mit der ein Alpaka namens Max geimpft wurde, um die Antikörperproduktion anzuregen. Dabei war die Belastung für unser Alpaka Max sehr gering, vergleichbar mit einer Impfung und Blutuntersuchung beim Menschen“, so Dirk Görlich vom MPI. Nachdem Max eine Blutprobe abgegeben hatte, wurde die weitere Arbeit im Labor durchgeführt, wobei mithilfe von High-Tech-Geräten, Enzymen, Bakterien, Bakteriophagen und Computern Nanobodies mikrobiologisch hergestellt wurden – ähnlich wie bei der Bierproduktion.

Die Nadel im Heuhaufen

Aus der Blutprobe des Alpakas gewannen die Forschenden zunächst die Baupläne für rund eine Milliarde verschiedene Nanobodies. Da jedoch nur ein winziger Bruchteil davon gegen das eigentliche Ziel gerichtet ist, isolierten die Göttinger Wissenschaftler mithilfe von Bakteriophagen gezielt die gB-spezifischen Nanobodies. Einzelne dieser Nanobodies wurden dann mikrobiologisch hergestellt und in Hamburg auf ihre antivirale Wirkung getestet. „Wir konnten dabei genau einen Nanobody identifizieren, der eine starke neutralisierende Wirkung hat. Spannend ist, dass er sowohl gegen HSV‑1 als auch HSV-2 wirkt“, berichtet Görlich.

In Hamburg konnte das Forschungsteam die 3D-Struktur des nativen HSV-2 gB mit dem gebundenen Nanobody entschlüsseln. Dieses Modell sowie weitere hochauflösende Kryo-EM-Modelle von gB vor und nach der Fusion – erstellt mit Unterstützung des Teams von Maya Topf, das fortschrittliche computergestützte Werkzeuge zur Modellierung und Validierung einsetzte – gaben Aufschluss über die entscheidenden Positionen in gB und enthüllten so den Neutralisierungsmechanismus. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Bindung des Nanobodies das Protein daran hindert, seine Form so zu verändern, dass es die Membranen fusionieren kann. So wird die Infektion verhindert“, sagt Grünewald.

Großes Potenzial für Behandlung und Prävention

Die Entdeckungen der Teams versprechen einen neuen Ansatz, um Herpesinfektionen zu behandeln und ihnen vorzubeugen. „Die Nanobodies können nicht nur bei einer bestehenden Herpesinfektion ergänzend zu den gängigen Medikamenten eingesetzt werden. Sie könnten zukünftig besonders gefährdete Personen vor einer Herpesinfektion oder dem erneuten Ausbrechen einer latenten Infektion schützen“, sagt Benjamin Vollmer, Erstautor der Studie. „Dazu ist es zwar noch ein längerer Weg, aber Menschen, deren Immunsystem besonders schwach ist, werden umso mehr von den innovativen Antikörpern profitieren können. Dazu zählen beispielsweise Neugeborene, HIV-Infizierte und Menschen mit Krebs, Autoimmunerkrankungen oder einer bevorstehenden Organtransplantation.“ Falls eine schwangere Frau eine aktive Herpesinfektion hat, könnten Nanobodies ihr vorbeugend verabreicht werden, um eine Ansteckung des Babys zu verhindern. Ein Patent wurde bereits angemeldet, um die Nanobodies für klinische Anwendungen weiterzuentwickeln und Industriepartner zu finden.

Quelle

Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (09/2025)

Publikation

Vollmer, B.; Ebel, H.; Rees, R.; Nentwig, J.; Mulvaney T.; Schünemann, J.; Krull, J.; Topf, M.; Görlich, D.; & Grünewald, K.
A nanobody specific to prefusion glycoprotein B neutralises HSV-1 and -2.
Nature (2025)
https://www.nature.com/articles/s41586-025-09438-5

Nach oben scrollen