Pflanzen produzieren eine erstaunliche Vielfalt an chemischen Substanzen. Die meisten dieser Stoffwechselprodukte spielen eine entscheidende Rolle in der chemischen Kommunikation von Pflanzen. Sie dienen der Abwehr von Schädlingen, dem Schutz vor Krankheitserregern oder locken nützliche Organismen an.
Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist Indol, eine stickstoffhaltige aromatische Verbindung. Indol fungiert nicht nur als zentrales Zwischenprodukt bei der Biosynthese der Aminosäure Tryptophan, sondern dient in vielen Pflanzen auch als Ausgangssubstanz für die Bildung von Abwehrstoffen. Bei Schädlingsbefall setzen viele Pflanzen flüchtiges Indol frei. Dies kann Schädlinge abschrecken oder benachbarte Pflanzen vor einem drohenden Angriff warnen, wodurch die Widerstandskraft der Pflanze gestärkt wird. Darüber hinaus kann Indol als Bestandteil von Blütendüften Bestäuber anlocken.
Indol-Biosynthese und pflanzliche Abwehrstoffe
Ein Forschungsteam um Matilde Florean und Tobias Köllner in der Abteilung Naturstoffbiosynthese am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie widmet sich der Erforschung von Enzymen, die an der Biosynthese von Benzoxazinoiden beteiligt sind. Diese spezialisierten Abwehrstoffe in Pflanzen benötigen Indol als Vorstufe für ihre Herstellung.
Während die für die Indol-Biosynthese verantwortlichen Enzyme bei einigen Pflanzenarten wie Mais (Einkeimblättrige) und Rittersporn (basale Zweikeimblättrige) bereits bekannt und aktiv sind, zeigen diese Enzyme bei anderen zweikeimblättrigen Blütenpflanzen nur eine schwache Aktivität. „Deshalb vermuteten wir, dass diese Pflanzen einen anderen, effizienteren Mechanismus für die Indol-Biosynthese haben“, beschreibt Erstautorin Matilde Florean den Ausgangspunkt für ihre Untersuchungen.
Pseudoenzyme als Schlüssel zur Indol-Biosynthese in Pflanzen
Ein Forschungsteam hat sich mit der Indol-Biosynthese in Pflanzen befasst, insbesondere mit der Rolle von Pseudoenzymen in diesem Prozess. Mithilfe der Modellpflanze Nicotiana benthamiana testeten die Wissenschaftler eine Vielzahl potenzieller Enzyme, die für den entscheidenden Syntheseschritt von Indol verantwortlich sein könnten. Ergänzende enzymatische Tests mit gereinigten Proteinen im Reagenzglas (in vitro) lieferten schließlich die entscheidenden Erkenntnisse: Die Biosynthese von Indol in diesen Pflanzen wird durch das Pseudoenzym TSB-like vermittelt. Pseudoenzyme sind Proteine, die echten, aktiven Enzymen strukturell ähneln, aber selbst keine katalytische Aktivität besitzen.
Das Pseudoenzym TSB-like ist dem Enzym TSB (Tryptophan-Synthase Beta-Untereinheit) strukturell sehr ähnlich. Anders als TSB ist TSB-like jedoch nicht an der Bildung von Tryptophan beteiligt. Normalerweise bindet TSB an ein anderes Enzym, TSA (Tryptophan-Synthase Alpha-Untereinheit), und aktiviert es. Dabei entsteht zwar kurzzeitig Indol, das jedoch umgehend von TSB in Tryptophan umgewandelt wird. Im Gegensatz dazu bindet TSB-like ebenfalls an TSA und aktiviert dieses. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass im Zusammenspiel zwischen dem Pseudoenzym TSB-like und dem Enzym TSA das Indol nicht zu Tryptophan umgewandelt wird. Dadurch kann es als flüchtige Verbindung freigesetzt werden, was für die pflanzliche Kommunikation von Bedeutung ist.
„In der Regel suchen wir nach Enzymen, die für die uns interessierende Reaktion katalytische Aktivität zeigen. Enzyme, die keine solche Aktivität aufweisen, sind für uns normalerweise von sehr geringem Interesse. Umso erstaunlicher war es, dass die Indol-Biosynthese durch ein Pseudoenzym vermittelt wird, dass die Aktivität eines aktiven Enzyms zur Herstellung von Indol für die Emission flüchtiger Stoffe oder die Biosynthese spezialisierter Abwehrstoffe umleitet“, fasst Tobias Köllner die wichtigsten Erkenntnisse der Studie zusammen.
Die rätselhafte Welt der Pseudoenzyme: Neue Forschungsfragen
Pseudoenzyme sind tatsächlich nicht leicht zu entdecken, da sie ohne den passenden Bindungspartner keine enzymatische Aktivität aufweisen. Dennoch sind sie keineswegs selten und können bis zu zehn Prozent des gesamten Proteoms ausmachen. In diesem vergleichsweise jungen Forschungsgebiet gibt es noch viele offene Fragen bezüglich der Rolle dieser Proteine.
Das Forschungsteam plant nun, genauer zu untersuchen, wie Pflanzen die Aktivität von Pseudoenzymen wie TSB-like regulieren. Ein zentraler Punkt dabei ist die Frage, wie Pflanzen verhindern, dass TSB-like mit dem katalytisch aktiven TSB-Enzym um die essentielle Tryptophan-Biosynthese konkurriert. „Die Entschlüsselung der Mechanismen, mit denen die große und wirtschaftlich bedeutende Gruppe der Blütenpflanzen Indol produziert, ist auch für die moderne Landwirtschaft relevant“, sagt Sarah O’Connor, Leiterin der Abteilung Naturstoffbiosynthese. Denkbar ist beispielsweise die gezielte Züchtung von Pflanzen, die für Bestäuber attraktiver und weniger anfällig für Krankheitserreger und Schädlinge sind.
Quelle
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (06/2025)
Publikation
Florean, M., Schultz, H., Grabe, V., Luck, K., Kunert, G., O’Connor, S. E., Köllner, T. G. (2025). A pseudoenzyme enables indole biosynthesis in eudicot plants. Nature Chemical Biology, doi: 10.1038/s41589-025-01943-y
https://www.nature.com/articles/s41589-025-01943-y