Ein Forschungsteam des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen und von der Forschungsstation Schöningen hat einen bedeutenden Durchbruch erzielt: Es gelang ihnen erstmals, das Erbgut der ausgestorbenen Pferdeart Equus mosbachensis zu rekonstruieren. Diese DNA stammt aus der rund 300.000 Jahre alten Fundstelle in Niedersachsen. Dank außergewöhnlich guter Erhaltungsbedingungen handelt es sich hierbei um die bislang älteste DNA aus einem offenen Fundplatz, die nachgewiesen werden konnte. Die durchgeführten Analysen belegen außerdem, dass die Schöninger Pferde einer Pferdelinie angehören, die als der Ursprung aller modernen Pferde betrachtet wird.
Zur Gattung der Pferdeartigen
Ob Hauspferd, Wildpferd, Esel oder Zebra – sie alle zählen zur einzigen heute noch existierenden Gattung Equus aus der Familie der Equidae (Pferdeartige). Ein Blick in die Erdgeschichte offenbart jedoch eine weitaus größere Vielfalt: Im Laufe der Zeit existierten über 35 verschiedene Gattungen und Hunderte inzwischen ausgestorbener Arten der Pferdeartigen. „Diese Familie gehört zu den am besten erforschten Tiergruppen der Evolutionsgeschichte. Ihre Fossilien lassen sich über einen Zeitraum von rund 55 Millionen Jahren zurückverfolgen“, erläutert Prof. Dr. Cosimo Posth vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment und fährt fort: „Lange Zeit konzentrierte sich die genetische Forschung vor allem auf Veränderungen durch die Domestizierung der Pferde in der jüngeren Vergangenheit. Doch um die Evolution des Pferdes zu verstehen, muss man auch die Geschichte davor betrachten. Archäologische Funde zeigen beispielsweise, dass Pferde schon für frühe Menschenarten eine zentrale Rolle spielten – insbesondere als Nahrungsquelle.“
Der Wissenschaftler hat eine erstmalige Untersuchung der mitochondrialen Genome der ausgestorbenen Pferdeart Equus mosbachensis durchgeführt. Das untersuchte genetische Material stammt dabei aus der bekannten Fundstelle Schöningen in Niedersachsen. Weingarten erklärt: „Schöningen ist berühmt für seine Holzspeere, die mit rund 300.000 Jahren die ältesten bekannten vollständigen Jagdwaffen der Welt sind. Direkt neben den Speeren konnten die fossilen Überreste von mindestens 20 erlegten Pferden gefunden werden. Das ist ein eindrucksvoller Beleg für die enge Beziehung zwischen Mensch und Pferd, lange vor der eigentlichen Domestizierung. Ziel unserer Untersuchung war es, die Stellung und Herkunft von Equus mosbachensis im Stammbaum der Pferde zu klären und die genetischen Beziehungen zu heutigen Pferden besser zu verstehen.“
Durch die Analyse besonders gut erhaltener Knochenbereiche der fossilen Tiere, kombiniert mit speziellen molekularen Techniken und der Entwicklung neuer bioinformatischer Methoden zur Rekonstruktion von Genomen aus alter DNA, gelang es, 300.000 Jahre altes Erbgut zu rekonstruieren. Dies stellt den ältesten Nachweis von DNA dar, der jemals unter offenen Freiluftbedingungen gefunden und sequenziert wurde. „Bislang galt, dass sich DNA außerhalb von Höhlen oder Permafrostböden maximal etwa 240.000 Jahre erhält. Die Pferde von Schöningen verschieben diese Grenze nun deutlich“, so Mitautorin Häusler und weiter: „Normalerweise zerfällt DNA unter freiem Himmel rasch, weil Temperaturwechsel und Mikroben das Erbgut zerstören. Doch in Schöningen lagen die Knochen in dauerhaft feuchten, sauerstoffarmen Sedimenten. Diese besondere Umgebung wirkte offenbar als natürlicher Schutz.“
Im Laufe der Erdgeschichte überquerten die Vorfahren der heutigen Equidae (Pferdeartigen) mehrfach die Beringlandbrücke und breiteten sich so von Nordamerika nach Eurasien aus.
Wanderungswellen und Evolution
Bislang sind zwei große Wanderungswellen belegt: Die erste Welle fand vor etwa 2,6 Millionen Jahren statt und brachte die Vorfahren der heutigen Zebras und Esel auf die asiatisch-europäischen und afrikanischen Kontinente. Die zweite Welle, vor rund 900.000 bis 800.000 Jahren, führte die „caballinen“ Pferde ein. Obwohl im caballinen Stammbaum viele Zweige ausgestorben sind, zeigen die aktuellen Untersuchungen, dass die an der Fundstelle Schöningen sequenzierten Tiere zur gleichen evolutionären Linie gehören wie die bis heute überlebenden Pferde.
„Mit unserer Studie konnten wir eine zeitliche und geografische Lücke in der Erforschung der Pferdeevolution schließen. Unsere Ergebnisse zeigen zudem, dass selbst in scheinbar ungünstigen Fundumgebungen wie offenen Grabungsplätzen noch erstaunlich alte DNA überdauern und geborgen werden kann. Dies eröffnet die Möglichkeit, unsere Methode auf andere Arten auszuweiten und so die genetische Vielfalt der fernen Vergangenheit aufzudecken“, fasst Posth zusammen.
Quelle
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (10/2025)
Publikation
Weingarten, A., Häusler, M., Serangeli, J. et al. Mitochondrial genomes of Middle Pleistocene horses from the open-air site complex of Schöningen. Nat Ecol Evol (2025). https://doi.org/10.1038/s41559-025-02859-5