Geordnete Strukturen sind in der Natur unerlässlich, da sie sowohl die Stabilität als auch die Funktionalität in lebenden Systemen gewährleisten. Ein klarer Beleg dafür findet sich in der Existenz regelmäßiger Muster oder der komplexen Bildung von Makromolekülen. Die Entstehung dieser tiefgreifenden Ordnung ist dabei auf universelle physikalische Prinzipien zurückzuführen, welche letztendlich die Grundlage für die Entwicklung lebender Materie und organischer Strukturen bilden. Eines der faszinierendsten dieser Prinzipien sind die nicht-reziproken Wechselwirkungen: Hierbei wird eine Art von Molekülen von einer anderen angezogen, während diese zweite Art die erste ihrerseits aktiv abstößt. Dieses asymmetrische Zusammenspiel führt zu interessanten Phänomenen wie der dynamischen Entstehung von geordneten Strukturen und Mustern in aktiven Systemen.
Forschende der Abteilung Physik lebender Materie am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) haben jüngst eine Entdeckung gemacht, die zeigt, dass nicht-reziproke Wechselwirkungen in lebenden Systemen stabile kollektive Bewegungen auslösen können. Giulia Pisegna beschreibt die Ergebnisse: „Die Dynamik von Partikeln mit nicht-reziproker Wechselwirkung untereinander führt zu einer spontanen gemeinsamen und gerichteten Bewegung der Partikelarten in größerem Maßstab. Während eine solche Aktivität auf den ersten Blick Chaos hervorrufen könnte, entstehen stattdessen bemerkenswert stabile und geordnete Strukturen.“
Stabile Muster durch nicht-reziproke Wechselwirkungen entdeckt
Um die Stabilität des Systems zu testen und die entstehende Ordnung und Bewegung zu stören, erzeugten die Wissenschaftler*innen Rauschen und Störungen. „Wir haben festgestellt, dass die Bewegungsmuster bemerkenswert robust und stabil sind“, berichtet Suropriya Saha.
Die Wissenschaftler*innen gelangten zu diesem Ergebnis durch einen interdisziplinären Ansatz, bei dem sie das Modell für nicht-reziproke Wechselwirkungen mit zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Theorien verknüpften: der Theorie der Schwarmbildung und der Theorie der Oberflächenwachstumsdynamik.
Im Anschluss daran untersuchten die Forschenden, wie sich das daraus resultierende Partikelmuster in einer Flüssigkeit verhält, in der die Partikel miteinander interagieren. Obwohl diese Interaktion die kollektive Bewegung typischerweise stört, stellte das Team fest, dass das Bewegungsmuster stabil bleibt, wenn es durch nicht-reziproke Wechselwirkungen hervorgerufen wird. Dies demonstriert eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit gegenüber komplexen Versuchsbedingungen.
„Diese Ergebnisse zeigen uns, dass nicht-reziproke Wechselwirkungen den Kern der primitiven Selbstorganisation in komplexen chemischen Umgebungen bilden. Sie können uns daher helfen, die Eigenschaften lebender Systeme vorherzusagen und zu beschreiben“, fasst Suropriya Saha zusammen.
Quelle
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (11/2025)
Publikation
Giulia Pisegna, Suropriya Saha, and Ramin Golestanian
Emergent polar order in nonpolar mixtures with nonreciprocal interactions
Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 121 (51) e2407705121
https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2407705121
Giulia Pisegna, Navdeep Rana, Ramin Golestanian, and Suropriya Saha
Nonreciprocal Mixtures in Suspension: The Role of Hydrodynamic Interactions
Phys. Rev. Lett. 135, 108301
https://journals.aps.org/prl/abstract/10.1103/gbg1-lwwt