Eierförmige Steinchen werfen neues Licht auf Erdgeschichte

6. Oktober 2025

Bisher ging die Wissenschaft lange davon aus, dass ein riesiger Vorrat an gelöstem organischem Kohlenstoff im Meer eine Rolle bei den Eiszeiten sowie beim Aufkommen komplexen Lebens vor 1000 bis 541 Millionen Jahren spielte. Diese Annahme wurde nun jedoch von Forschenden der ETH Zürich widerlegt. Durch die Entwicklung einer neuartigen Analysemethode konnten sie den Gehalt an gelöstem organischem Kohlenstoff des damaligen Ozeans erstmals direkt bestimmen. Die Ergebnisse dieser Messungen sind erstaunlich: Das Kohlenstoff-Lager im Meer musste seinerzeit um 90 bis 99 Prozent kleiner gewesen sein als heute. Diese bahnbrechenden Erkenntnisse werfen neue Fragen auf und machen neue Erklärungsansätze für den Zusammenhang zwischen ökologischer und biogeochemischer Evolution notwendig.

Die Herausforderung der direkten Beweisführung

Erdwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler stehen oft vor der Herausforderung, dass für weit zurückliegende, wichtige Ereignisse der Erdgeschichte nur wenige direkte Belege existieren. Aus diesem Grund müssen Forschende häufig auf indirekte Hinweise oder Computermodelle zurückgreifen. Das Team um ETH-Professor Jordon Hemingway hat nun jedoch einen einzigartigen natürlichen Zeitzeugen entdeckt: winzige, eiförmige Eisenoxid-Steinchen, mithilfe derer sich die Kohlenstoffvorräte im Meer vor hunderten Millionen Jahren direkt messen lassen.

Ooide als natürliche Zeitzeugen

Diese sogenannten Ooide sehen äußerlich wie einfache Sandkörner aus, entstehen aber eher wie rollende Schneebälle: Sie wachsen Schicht um Schicht, während die Wellen sie über den Meeresboden schieben. Bei diesem Prozess haften organische Partikel an ihnen an und werden Teil ihrer Kristallstruktur.

Anhand dieser winzigen Verunreinigungen gelang es Hemingways Team, den Vorrat an organischem Kohlenstoff im Meer bis zu 1,65 Milliarden Jahre zurückzuverfolgen. Die Forschenden zeigten, dass dieses Lager an organischem Kohlenstoff im Zeitraum von vor 1000 bis 541 Millionen Jahren erheblich kleiner war als bisher angenommen. Diese Resultate stehen im Widerspruch zu den gängigen Erklärungen wichtiger geochemischer und biologischer Ereignisse dieser Ära und lassen die Geschichte der Erde in einem neuen Licht erscheinen.

Kohlenstoffbauteillager im Ozean

Der Kohlenstoff gelangt auf zwei Hauptwegen in die Ozeane. Zum einen löst sich Kohlendioxid (CO2​) aus der Atmosphäre im Meerwasser. Durch Mischprozesse und Meeresströmungen wird es in die Tiefe transportiert und dort über lange Zeiträume gespeichert. Zum anderen entsteht organischer Kohlenstoff ausschließlich durch photosynthesetreibende Organismen wie Phytoplankton und bestimmte Bakterien. Diese mikroskopisch kleinen Lebewesen nutzen die Energie des Sonnenlichts und CO2​ aus dem Wasser, um ihre eigenen organischen Kohlenstoffverbindungen herzustellen. Sterben diese Organismen ab, sinken sie langsam als „Meeresschnee“ zum Meeresboden. Wenn dieser Schnee den Grund erreicht, ohne unterwegs von anderen Organismen gefressen zu werden, wird der darin enthaltene Kohlenstoff für Jahrmillionen im Meeresgrund gespeichert.

Doch nicht nur neu gebildeter Kohlenstoff durch Photosynthese sorgt für Nachschub. Die Lebensbausteine werden auch wiederverwendet: Mikroorganismen zersetzen tote Organismen und Exkremente, wodurch die Kohlenstoffbausteine wieder freigesetzt werden. Diese Moleküle bilden den sogenannten gelösten organischen Kohlenstoff, der frei im Ozean umhertreibt. Dieses riesige „Bauteillager“ ist ein wichtiger Speicher, der insgesamt 200-mal mehr Kohlenstoff umfasst, als momentan in den lebenden Meereslebewesen gebunden ist.

Rasanter Sauerstoffanstieg änderte Spielregeln

Bisher nahmen Forschende aufgrund von Auffälligkeiten in ozeanischen Sedimentgesteinen an, dass der Vorrat an gelöstem Kohlenstoff im Meer vor 1000 bis 541 Millionen Jahren extrem groß gewesen sein muss. Diese Hypothese lieferte lange Zeit die Erklärung dafür, wie in derselben Ära Eiszeiten und die Entstehung komplexen Lebens zeitgleich auftraten. Die photosynthetische Herstellung kohlenstoffhaltiger Bauteile ist eng mit der Entwicklung der Atmosphäre und der Entstehung komplexerer Lebensformen verbunden. Denn erst durch die Photosynthese begann sich Sauerstoff in der Atmosphäre anzusammeln.

Der Sauerstoffgehalt stieg in der Erdgeschichte in zwei großen Schüben auf den heutigen Wert von 21 Prozent an. Interessanterweise wurden beide Ereignisse von extremen Eiszeiten begleitet, die unseren Planeten in einen sogenannten „Schneeball“ verwandelten. Dennoch bewirkte diese Dynamik eine Neuerfindung des Lebens: Bereits während der ersten sprunghaften Sauerstoffanreicherung vor 2,4 bis 2,1 Milliarden Jahren entwickelten Organismen einen Stoffwechsel, der Sauerstoff nutzte, um Nahrung in Energie umzuwandeln. Dieser überaus effiziente Weg der Energiegewinnung war die entscheidende Voraussetzung für die spätere Entwicklung komplexerer Lebensformen.

Kohlenstoffgehalt viel kleiner als angenommen

Das Team um Professor Hemingway widmet sich der Erforschung der komplexen Zusammenhänge zwischen geochemischen und biologischen Entwicklungen der Erdgeschichte. Bei dieser Arbeit sind die Forschenden auf eine wichtige neue Spur gestoßen – und zwar dank der eiförmigen Eisenoxid-Steinchen (Ooide). Um das Geheimnis dieser Gesteinskörnchen zu lüften, entwickelte Hemingways Team eine neue Analysemethode. Mit dieser konnten sie die Menge an Kohlenstoff in den Ooiden präzise bestimmen und daraus ableiten, wie groß das Kohlenstoff-„Bauteillager“ im Ozean vor Hunderten von Millionen Jahren tatsächlich war.

„Unsere Resultate stehen im Widerspruch zu sämtlichen bisherigen Annahmen“, fasst Hemingway zusammen. Nach den Messungen der ETH-Forschenden enthielt der Ozean in der Zeit vor 1000 bis 541 Millionen Jahren nicht mehr, sondern sogar 90 bis 99 Prozent weniger gelösten organischen Kohlenstoff als heutzutage. Die Werte dieses Kohlenstoffspeichers stiegen erst nach der zweiten großen Sauerstoffanreicherung in der Erdgeschichte auf den heutigen Stand von rund 660 Milliarden Tonnen Kohlenstoff an.

„Wir müssen nun neue Antworten darauf finden, wie Eiszeiten, komplexes Leben und Sauerstoffanstieg zusammenhängen“, sagt Erstautor Nir Galili. Professor Hemingway erklärt sich das massive Schrumpfen des Kohlenstofflagers im Meer mit dem zeitgleichen Aufkommen größerer Lebewesen. Die damaligen einzelligen und ersten mehrzelligen Organismen sanken nach ihrem Absterben schneller in die Tiefe und verstärkten so den sogenannten marinen Schneefall.

Allerdings konnten diese absinkenden Kohlenstoffteilchen in den tieferen Schichten des Ozeans nicht wiederverwertet werden, da dort noch sehr wenig Sauerstoff vorhanden war. Infolgedessen lagerten sich die Teilchen am Meeresgrund ab, was zu einem starken Schwund des Vorrats an gelöstem organischem Kohlenstoff führte. Erst als sich später auch in der Tiefsee Sauerstoff anreicherte und damit die Wiederverwertung des Kohlenstoffs zunahm, wuchs das Kohlenstofflager allmählich auf seine heutige Größe an.

Quelle

Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) (09/2025)

Publikation

Galili N, Bernasconi SM, Nissan A et al.: The geologic history of marine dissolved organic carbon from iron oxides. Nature, 13. August 2025, doi: 10.1038/s41586-025-09383-3
https://doi.org/10.1038/s41586-025-09383-3

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