Ein Forschungsteam der Universität Marburg hat eine bahnbrechende Methode entwickelt, um das zentrale Sauerstoffsensorprotein HIF1α gezielt zu steuern. Dieses Protein, dessen Rolle bei der Sauerstoffwahrnehmung von Zellen im Jahr 2019 mit dem Nobelpreis für Medizin gewürdigt wurde, kann nun mithilfe eines optochemischen Werkzeugs nach Belieben aktiviert werden.
Ein molekularer Lichtschalter
Die Studie, unter der Leitung von Dr. Van Tuan (Marco) Trinh, beschreibt die Entwicklung eines durch sichtbares Licht aktivierbaren „Stapled Peptides“. Dieses Peptid ermöglicht eine präzise Kontrolle über HIF1α in Raum und Zeit. Durch Lichteinwirkung kann eine künstliche zelluläre Reaktion ausgelöst werden, die normalerweise nur bei niedrigem Sauerstoffgehalt stattfindet.
Professorin Dr. Olalla Vázquez, die die Forschung begleitete, betont die Neuartigkeit dieser Entdeckung. Sie sieht die Möglichkeit, mit einem Lichtschalter die zelluläre Sauerstoffreaktion und speziell das Protein HIF1α zu beeinflussen, als potenziellen Wegbereiter für zahlreiche Anwendungen. Die Forscher beschreiben das Konzept als ein durch Licht ausgelöstes Getriebe, das den Abbau von HIF1α stoppt und somit die Genregulation am Laufen hält. Diese Arbeit zeigt eindrucksvoll, wie mit dem richtigen molekularen Schalter komplexe biologische Prozesse mit hoher Präzision gesteuert werden können.
Ein- und Ausschalten der Proteinmaschinerie durch Licht
Das Team von Prof. Olalla Vázquez hat mit dem photoschaltbaren Peptid (PSB-BCB-04) einen molekularen Lichtschalter geschaffen. Sie haben ein kleines Peptid mit einem lichtempfindlichen chemischen „Linker“ verbunden, der seine Form ändert, wenn er mit bestimmten Wellenlängen von sichtbarem Licht bestrahlt wird.
So funktioniert der Lichtschalter
Die Bestrahlung mit grünem Licht führt dazu, dass das Peptid eine bestimmte Form annimmt, die es ihm ermöglicht, sich an den Proteinkomplex zu binden, der für den Abbau von HIF1α zuständig ist. Das Peptid blockiert somit die Interaktion zwischen den Proteinen EloBC und pVHL. Durch diese Störung wird die Zelle getäuscht und aktiviert die Hypoxie-Reaktionsgene, obwohl normale Sauerstoffbedingungen herrschen. Dadurch wird HIF1α auch bei ausreichend Sauerstoff stabilisiert.
Wird das Peptid hingegen mit blauem Licht bestrahlt, ändert es seine Form wieder. Das wiederum beeinflusst den HIF1α-Spiegel und die Aktivität der von HIF gesteuerten Gene, wie dem Gefäßwachstumsfaktor VEGFA, der an der Bildung von Blutgefäßen beteiligt ist. Diese präzise Steuerung mittels Licht, ganz ohne dauerhafte genetische Veränderungen, ist ein großer Fortschritt für die Forschung und therapeutische Ansätze im Bereich der Photopharmakologie.
Vielversprechende Aussichten: von der regenerativen Medizin bis zur gezielten Krebsbekämpfung
Diese neue Methode eröffnet vielversprechende Möglichkeiten, da sie eine präzise Steuerung der Hypoxie-induzierbaren Faktoren (HIF) ermöglicht, welche eine entscheidende Rolle bei Krankheitsverläufen und Heilungsprozessen spielen. „HIF1α reguliert über hundert Gene, die am Sauerstofftransport, dem Wachstum der Blutgefäße, dem Stoffwechsel und der Immunfunktion beteiligt sind“, erklärt Prof. Olalla Vázquez. „Seine präzise Kontrolle ist medizinisch relevant bei Krankheiten wie Krebs, Ischämie, Anämie und Wundheilung.“ Tumore nutzen HIF1α, um in sauerstoffarmen Umgebungen zu überleben und neue Blutgefäße zu bilden. Gleichzeitig kann die Aktivierung von HIF1α die Reparatur von Geweben und Nerven unterstützen.
Präzise Steuerung mit Licht
Das lichtgesteuerte Peptid des Marburger Teams ermöglicht eine räumlich und zeitlich präzise Aktivierung von HIF1α genau dort, wo und wann es gebraucht wird. Dieser gezielte Ansatz maximiert den potenziellen Nutzen, während gleichzeitig die Nebenwirkungen reduziert werden. Über die HIF1α-Forschung hinaus zeigt diese Methode eine generelle Strategie auf: lichtreaktive Peptide können dazu genutzt werden, die Stabilität und Interaktionen von Proteinen nach Bedarf zu steuern. Angepasst an andere biologische Systeme, könnte dieser Ansatz den gezielten Proteinabbau verbessern und bestehende Werkzeuge wie Proteolyse-Targeting-Chimären (PROTACs) um eine bedingte, lichtgesteuerte Präzision ergänzen.
Quelle
Philipps-Universität Marburg (09/2025)