Wie symbiotische Bakterien mit minimaler Erbinformation ihre Wirte bestmöglich unterstützen

21. August 2025

Viele Insekten leben in Symbiose mit bestimmten Bakterienarten, die wichtige Funktionen für ihre Wirte übernehmen, wie etwa bei der Ernährung, Verdauung, Entgiftung, Fortpflanzung und Abwehr. Im Laufe der Evolution verlieren diese Symbionten oft Gene für Stoffwechselprodukte, die ihr Wirt ihnen ohnehin bereitstellt, da sie so eng mit ihm zusammenleben. Ein faszinierendes Beispiel für diese Anpassung sind die Symbionten der Schilfkäfer. Sie besitzen nur noch ein winziges Genom, dessen Gene jedoch für die Entwicklung der Käfer unerlässlich sind. Die Ernährung der Käfer variiert stark je nach Lebensstadium: Während die Larven aminosäurearmen Wurzelsaft saugen, fressen die erwachsenen Tiere Blätter und Blüten, deren Zellwände schwer zu verdauen sind.

Die Symbiose-Bakterien spielen in beiden Stadien eine entscheidende Rolle. Bei den Larven ergänzen sie die nährstoffarme Nahrung, indem sie Aminosäuren produzieren. Bei den erwachsenen Käfern unterstützen sie die Verdauung, indem sie ein Enzym bilden, das pflanzliche Zellwände abbauen kann. Allerdings profitieren nicht alle Symbionten gleichermaßen von beiden Lebensstadien der Käfer.

Variable Symbiose-Leistungen der Bakterien

Die Abteilung für Insektensymbiosen, unter der Leitung von Martin Kaltenpoth, hat die Symbionten von Schilfkäfern genauer untersucht. Dabei stellte das Forschungsteam fest, dass zwar alle Schilfkäfer denselben Symbionten beherbergen, dieser jedoch in einigen Fällen die Fähigkeit verloren hat, Enzyme zum Abbau der schwer verdaulichen pflanzlichen Zellwände zu produzieren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten daher, dass die Produktion dieser Enzyme ausschließlich für die erwachsenen Käfer von Vorteil ist.

„Es gibt zwei Arten von symbiotischen Wechselwirkungen innerhalb der Schilfkäfer: Einerseits gibt es Käferarten, bei denen der Symbiont beiden Lebensstadien zugutekommt, andererseits solche, bei denen nur die Larven direkt vom Symbionten profitieren. Zunächst wollten wir herausfinden, ob die Genexpression des Symbionten diese Hypothese bestätigt. Außerdem wollten wir untersuchen, ob sich die Regulation der Genexpression durch den Symbionten zwischen Arten mit einem oder zwei Vorteilen unterscheidet – und ob eine solche Regulation bei der geringen Gesamtgenomgröße überhaupt möglich ist“, fasst Erstautorin Ana Carvalho die Ausgangssituation ihrer Studie zusammen.

Genaktivität von Schilfkäfersymbionten ist an die Bedürfnisse der Käfer in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien angepasst

Unter Einsatz verschiedener Techniken wie RNA-Sequenzierung, Assays zur enzymatischen Aktivität und Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung hat Ana Carvalho gemeinsam mit ihrem Team die Genexpression, die Verdauungsaktivität der Käfer und ihrer Symbionten sowie die genaue Lokalisation und Zellform des Symbionten bei vier verschiedenen Schilfkäferarten in deren unterschiedlichen Entwicklungsstadien untersucht.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Symbiont die Expression von Genen für die Aminosäurebiosynthese bei vier Schilfkäferarten während des Larvenstadiums konstant verstärkt. Außerdem beobachteten wir eine Wirt-Symbiont-Koordination hinsichtlich der Expression von Enzymen zum Abbau der pflanzlichen Zellwand während des Erwachsenenstadiums des Wirts. Dies verdeutlicht, dass eine Feinabstimmung der Genexpression des Symbionten dessen Nutzen für den Wirt optimieren kann“, sagt Ana Carvalho.

Mithilfe bildgebender Verfahren konnte das Team nicht nur die veränderte Genexpression in den verschiedenen Entwicklungsstadien der Käfer nachweisen, sondern auch zeigen, dass der Symbiont im Laufe seines Lebens seine Zellform ändert. Dies hängt möglicherweise mit seiner veränderten Stoffwechselfunktion in den unterschiedlichen Stadien des Wirts zusammen, also im Larven- und im Käferstadium.

Plastizität bei der Genexpression auch bei veränderten Umweltbedingungen

Um zu klären, ob der Symbiont trotz seines reduzierten Genoms seine Genexpression regulieren kann, untersuchte das Forschungsteam, wie die Bakterien auf die Temperaturschwankungen im Lebenszyklus der Schilfkäfer reagieren. Dazu wurden Käferlarven einen Monat lang zwei unterschiedlichen Temperaturzyklen ausgesetzt, einem kälteren (8 °C bis 12 °C) und einem wärmeren (14 °C bis 22 °C).

Die Ergebnisse waren überraschend: Trotz des stark reduzierten Genoms und somit begrenztem Regulationsmechanismus zeigte sich eine deutliche Temperaturantwort in der Genexpression. Die Symbionten konnten temperaturabhängig verschiedene Gene aktivieren. Bei Kälte zum Beispiel aktivierten sie einen Stressmechanismus, der bei frei lebenden Bakterien typischerweise auf Hitzestress reagiert. Offenbar hat sich dieser Mechanismus bei den Symbionten an Kältestress angepasst.

Die Studie liefert nicht nur wichtige Antworten, sondern wirft auch neue Fragen auf: Welche Funktionen haben die wenigen verbliebenen Gen-Schalter (Transkriptionsfaktoren) der Symbionten, und wie werden bestimmte Gene ohne diese Schalter gesteuert? Warum verändern die Symbionten ihre Form, und welchen Nutzen hat das für sie und den Wirt? Um diese Fragen zu beantworten, sind weitere Experimente mit Schilfkäfern oder anderen, leichter zu untersuchenden Insekten-Bakterien-Modellen notwendig.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Symbionten-Genome trotz ihrer geringen Größe wichtige Prozesse regulieren können. Dies belegt, dass ein regulierter Stoffwechsel auch mit wenigen Genen aufrechterhalten werden kann. Unser Ziel ist es, ein grundlegenderes Verständnis dafür zu gewinnen, wie die metabolische Koordination zwischen Wirt und Symbiont genau funktioniert“, fasst Martin Kaltenpoth zusammen.

Quelle

Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (08/2025)

Publikation

Carvalho, A. S. P., Wingert, S. T., Kirsch, R., Vogel, H., Kölsch, G., Kaltenpoth, M.
Symbionts with eroded genomes adjust gene expression according to host life-stage and environment
EMBO Reports, doi: 10.1038/s44319-025-00525-2 (2025)
https://dx.doi.org/10.1038/s44319-025-00525-2

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