Aktuell wird im Eislabor des Alfred-Wegener-Instituts ein einzigartiger Eiskern analysiert: Es handelt sich um den ältesten kontinuierlichen Eiskern, der jemals auf der Erde gewonnen wurde. Ein Forschungskonsortium hatte hierfür im Rahmen des EU-geförderten Projekts Beyond EPICA – Oldest Ice im Jahr 2019 ein Bohrcamp auf dem Hochplateau der Ostantarktis errichtet. Dort bohrten internationale Teams in den antarktischen Sommermonaten bis Januar 2025 über 2.800 Meter Eis in lückenloser Folge ab. In diesem Eis sind Luftblasen eingeschlossen, die direkte Messungen von Treibhausgasen der letzten 1,2 Millionen Jahre – und voraussichtlich sogar noch länger – ermöglichen. Dies stellt einen historischen Meilenstein für die Klimaforschung dar.
Bestätigung des ältesten Eises über 1,2 Millionen Jahre – Ein Schlüssel zum Verständnis des Mittel-Pleistozän-Übergangs
Erste Analysen bestätigen, dass das im Projekt Beyond EPICA – Oldest Ice (BEOI) erbohrte Eis mehr als 1,2 Millionen Jahre alt ist. Damit haben die Forschenden das Ziel erreicht, den sogenannten Mittel-Pleistozän-Übergang zu beproben. Dieser fand vor etwa 900.000 bis 1,2 Millionen Jahren vor heute statt. In dieser Zeit änderte sich die Periodizität im Wechsel von Kalt- und Warmzeiten von ehemals 41.000 auf heute 100.000 Jahre. Erdbahnparameter wie der Neigungswinkel, Sonneneinstrahlung und Eis-Albedo bestimmen diese Zyklen. Aber warum sich die Reaktion des Erdsystem sich plötzlich so verschoben hat, ist nach wie vor eines der größten Rätsel der Klimawissenschaften, das mit diesem Projekt gelüftet werden soll. Insbesondere die Zyklen der Erdbahnparameter haben sich über diesen Zeitraum nicht grundlegend gegenüber zuvor geändert, so dass sich ein interner Verstärkungsfaktor (wie z.B. die Treibhausgaskonzentrationen) über diesen Übergang grundlegend geändert haben muss.
Die Frequenz von Eiszeitzyklen zu verstehen ist nicht nur wichtig für die bisherige Geschichte des Planeten Erde und der Menschheit, sondern auch für unsere Zukunft. Die Analyse des BEOI-Kerns soll helfen, die Prozesse besser zu verstehen, die hinter dem Mittel-Pleistozän-Übergang stecken. Dass dieser Übergang stattgefunden hat, ist aus Sedimentkernen bekannt. Im Gegensatz zu Sedimentkernen beinhaltet ein Eiskern jedoch auch Gaseinschlüsse und erlaubt es somit beispielsweise, den Gehalt an Treibhausgasen direkt zu messen. Den Zusammenhang zwischen dem Kohlenstoffkreislauf und der Temperatur unseres Planeten aufzuzeigen und in zukünftigen Klimamodellen abzubilden, ist ein weiteres Ziel der Wissenschaftler:innen.
Vielschichtige Analysen und präzise Schnittpläne zur Erforschung antarktischer Klimageschichte
Um dem Eis all seine Geheimnisse zu entlocken, stehen vielfältige Analysen an. Damit alle Projektbeteiligten das benötigte Material erhalten, arbeiten verschiedene Teams im Eislabor des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), einen ausgeklügelten Schnittplan ab.
Das Eis kommt in einem Meter langen Stücken aus der Antarktis und ist sorgfältig beschriftet, mit Angaben zu Tiefe, Ober- und Unterseite. Zwei Horizontalschnitte teilen jeden Kern der Länge nach in drei große Unterproben. Informationen zur Ausrichtung und Tiefe begleiten jedes Stück durch die verschiedenen Stationen: Ein Teil wird direkt wieder eingelagert und dient als Archivmaterial für zukünftige Forschungen mit potenziell neuen Methoden. Ein anderer Teil wird poliert und gescannt, um die Schichtung und Struktur des Kerns festzuhalten. Beispielsweise deutet viel Staub auf einen Abschnitt aus einer Kaltzeit hin, während wenig Staub eine Warmzeit anzeigt. Staub und andere Verunreinigungen beeinflussen auch die Leitfähigkeit des Eises, die in einem weiteren Schritt bestimmt wird.
Anschließend wird der Kern weiter zersägt: Vertikale Schnitte zerteilen ihn in unterschiedlich lange Stücke, die für spätere Untersuchungen zu den Laboren der beteiligten Institutionen transportiert werden. Sowohl aus den eingeschlossenen Luftblasen als auch aus dem Wasser der Teilstücke werden die Isotope verschiedener Elemente analysiert. Dies ermöglicht sehr genaue Altersdatierungen sowie detaillierte Rückschlüsse auf die Zusammensetzung von Treibhausgasen.
Historischer Abriss: (Beyond) EPICA
Zwischen 1996 und 2004 wurde im Rahmen des Projekts EPICA (European Project for Ice Coring in Antarctica) ein rund 3.500 Meter langer Eiskern gewonnen, der etwa 800.000 Jahre altes Eis umfasste. Trotz seiner beachtlichen Länge war dieser Kern jünger als der aktuell erbohrte, was auf regionale Unterschiede im Aufbau des antarktischen Eispanzers zurückzuführen ist. In einer weiteren Förderphase von 2004 bis 2008 wurden die Analysen und Auswertungen dieses Kerns durchgeführt.
Von 2016 bis 2019 koordinierte das Alfred-Wegener-Institut die Auswahl des Bohrpunkts, die Technologieentwicklung und die logistischen Vorbereitungen für Beyond EPICA – Oldest Ice (BEOI). Ziel war es, einen Ort zu finden, dessen Eis mindestens 1,2 Millionen Jahre alt ist, um die wissenschaftliche Lücke des Mittel-Pleistozän-Übergangs zu schließen.
Die aktuelle Bohrphase BEOIC läuft von 2019 bis 2026 unter der Leitung des Institute of Polar Sciences of the National Research Council of Italy, ISP-CNR. Nachdem erfolgreich über 1,2 Millionen Jahre altes Eis erbohrt wurde, ist für die kommende Saison geplant, zusätzliches Material vom ältesten Teil des Eiskerns zu gewinnen, indem der untere Bereich parallel erneut gebohrt wird.
Eine Projektförderung für die weitere Analyse und Auswertung ist ebenfalls vorgesehen.