Ein Forschungsteam der Universität Wien hat bahnbrechende Erkenntnisse über Chlamydien gewonnen. Diese bekannten menschlichen Krankheitserreger, deren genaueres Verständnis für effektive Bekämpfungsstrategien entscheidend ist, zeigen eine unerwartete Eigenschaft: Einige Chlamydienarten verzichten gänzlich auf die bisher bekannte infektiöse extrazelluläre Form. Stattdessen verbreiten sie sich direkt von Wirtszelle zu Wirtszelle. Diese Entdeckung eröffnet völlig neue Perspektiven auf die Entstehung symbiotischer und pathogener Lebensstile bei Bakterien.
Chlamydien können unter anderem sexuell übertragbare Infektionen und das Trachom, eine schwere Augenentzündung, verursachen. „Dass Chlamydien auch in der Umwelt weit verbreitet sind und dort in Tieren aber vor allem innerhalb von Einzellern wie Amöben leben, ist nur wenigen bekannt“, sagt Mikrobiologe Matthias Horn von der Universität Wien. Gemeinsam mit seinem Team hat er eine außergewöhnliche Anpassung dieser Bakterien beschrieben, die neue Einblicke in deren Evolution gibt.
Soziale Amöben und ihre komplexen Überlebensstrategien
In ihrer neuesten Studie konzentrieren sich Forschende auf soziale Amöben der Gattung Dictyostelium. Diese Amöben leben normalerweise als einzelne Zellen im Boden. Bei Nahrungsmangel bilden jedoch Zehntausende dieser Einzeller eine Gemeinschaft, um komplexe Fruchtkörper zu entwickeln. An der Spitze dieser Fruchtkörper befinden sich Amöbensporen, die in die Umwelt freigesetzt werden, um das Überleben der Population zu sichern. „Dieses kollektive Verhalten stellt nicht nur eine faszinierende biologische Strategie dar, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten für Symbionten wie Chlamydien, sich innerhalb der Wirtspopulation zu verbreiten“, erklärt Erstautor Lukas Helmlinger.
Tatsächlich konnte das Forschungsteam zeigen, dass die untersuchten Chlamydien – Reclusachlamydia socialis – ihre Wirtszellen während dieser sozialen Phase direkt infizieren, ohne je eine extrazelluläre Form auszubilden. „Alle bisher bekannten Chlamydien durchlaufen einen zweiphasigen Entwicklungszyklus mit einer widerstandsfähigen infektiösen Form, die außerhalb der Wirtszelle überdauern kann. Diese Form fehlt hier vollständig“, so Helmlinger.
Spezialisierung statt Verlust – Neue Wege der Zell-zu-Zell-Verbreitung
Der Verlust der extrazellulären Form ist nicht nur mikroskopisch sichtbar. Man kann es auch genetisch nachweisen: „Diesen Chlamydien fehlen zentrale Gene, die für das Überleben in dieser Phase essenziell sind“, sagt der Studienleiter Matthias Horn. Die Bakterien besitzen stattdessen zahlreiche Proteine, die Proteinen von Tieren, Pflanzen oder Einzellern ähneln und vermutlich gezielt in Wirtsprozesse eingreifen.
Für die Forschenden ist das ein möglicher evolutionärer Zwischenschritt: „Die enge Verbindung zur Wirtszelle und die Anpassung an eine multizelluläre Lebensweise könnten frühe Stadien auf dem Weg zum Krankheitserreger bei Tieren widerspiegeln“, glaubt Horn. Der Verzicht auf die extrazelluläre Phase ist in diesem Zusammenhang kein Verlust, sondern eine Spezialisierung: „Wenn der Wirt regelmäßig Zell-Zell-Kontakt herstellt, ist eine überlebensfähige Form außerhalb der Zelle schlicht überflüssig.“
Diese Studie eröffnet neue Perspektiven auf die Entstehung symbiotischer und pathogener Lebensstile bei Bakterien. Im nächsten Schritt wollen die Forschenden untersuchen, welche genetischen Mechanismen diesen Wandel ermöglichen und ob ähnliche Anpassungen auch bei anderen Umweltchlamydien vorkommen.
Quelle
Publikation
The adaptation of chlamydiae to facultative host multicellularity. Lukas Helmlinger, Patrick Arthofer, Norbert Cyran, Astrid Collingro, Matthias Horn. In Current Biology, 2025.
DOI: 10.1016/j.cub.2025.06.014
https://www.cell.com/current-biology/pdfExtended/S0960-9822(25)00743-2