Virus auf Abwegen

4. Juli 2025

Das Hepatitis E-Virus (HEV) verursacht schwere Leberentzündungen. Ein Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum und des TWINCORE-Zentrums für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung in Hannover hat nun erstmals nachgewiesen, dass das Virus auch Nierenzellen befallen und sich darin vermehren kann. In den Nieren wirken antivirale Medikamente wie Ribavirin jedoch weniger effektiv als in der Leber.

Gesamter Lebenszyklus in der Niere möglich

Hepatitis-E-Viren befallen hauptsächlich Leberzellen und richten in der Leber mitunter große Schäden an. „Es war aber bekannt, dass sie sich auf Abwege begeben und andere Zellen befallen können, zum Beispiel Nervenzellen“, berichtet Letztautor Dr. André Gömer aus der Abteilung Molekulare und Medizinische Virologie der Ruhr-Universität Bochum. Den Forschenden aus Bochum und Hannover gelang nun der Nachweis, dass die Viren auch Nierenzellen befallen und sich mit ihrer Hilfe vermehren können. „Der gesamte Replikationszyklus des Virus läuft in Nierenzellen ebenso ab wie in Leberzellen“, so Gömer.

Auf eine Therapie mit dem antiviralen Wirkstoff Ribavirin sprachen die infizierten Nierenzellen weniger gut an als die Leberzellen. „Das liegt vermutlich am Stoffwechselprofil der beiden Organe, das sich deutlich unterscheidet“, sagt André Gömer. In der Niere ist das Virus also relativ unempfindlich gegen die medikamentöse Behandlung. „Es könnte sein, dass die Niere bei chronischen Infektionen als Reservoir funktioniert, von wo aus sich die Viren nach einer vermeintlich erfolgreichen Behandlung wieder ausbreiten“, sagt Nele Meyer, Doktorandin in der Forschungsgruppe „Translationale Virologie“ am TWINCORE. Ein solches Reservoir könnte den Viren auch ermöglichen, sich an eine Behandlung besser anzupassen.

Evolution im Organ

Das Team führte außerdem eine vergleichende genetische Analyse von Hepatitis-Viren bei chronisch infizierten Patientinnen und Patienten durch, wobei sie Blutplasma, Stuhl und Urin untersuchten. Dabei zeigte sich, dass im Stuhl vor allem Viren aus der Leber ausgeschieden werden, während im Urin Viren aus der Niere nachweisbar sind. „Die in den unterschiedlichen Proben gefundenen Viren unterscheiden sich deutlich voneinander“, berichtet Dr. Patrick Behrendt, Leiter der Gruppe „Translationale Virologie“ am TWINCORE und ebenfalls Letztautor des Artikels. „Das ist ein Hinweis darauf, dass sich die Populationen schon seit längerer Zeit unabhängig voneinander entwickelt haben und eine Art Evolution im jeweiligen Organ durchlaufen haben.“

Hepatitis E

Das Hepatitis E-Virus (HEV) ist der Hauptverursacher akuter Virushepatitiden. Nach dem ersten dokumentierten epidemischen Ausbruch in den Jahren 1955 bis 1956 vergingen mehr als 50 Jahre, bevor sich Forscher intensiv mit dem Thema beschäftigten. Bei Patienten mit einem intakten Immunsystem heilen akute Infektionen in der Regel von selbst aus. Für Menschen mit geschwächtem oder unterdrücktem Immunsystem, wie Organtransplantatempfängern oder HIV-infizierten Patienten, kann HEV jedoch chronisch werden. Auch für schwangere Frauen stellt das Virus eine besonders große Bedrohung dar.

Quelle

Ruhr-Universität Bochum (07/2025)

Publikation

Avista Wahid, Nele Meyer et al.: Extrahepatic Replication and Genomic Signatures of the Hepatitis E virus in the Kidney, in: Liver International, 2025, DOI: 10.1111/liv.70183, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/liv.70183

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