Wie Reifenabrieb Gewässer verschmutzt und Tiere gefährdet

3. Juli 2025

Reifenabrieb enthält eine komplexe Mischung verschiedener Verbindungen, darunter giftige Substanzen. Wenn die Reifenpartikel in Gewässer gelangen, werden diese Schadstoffe ausgelaugt. Ein aktueller Übersichtsartikel fasst den Wissensstand über das Vorkommen von Reifenabrieb und die Freisetzung von Schadstoffen in aquatischen Ökosystemen zusammen. Die Forscher warnen vor der giftigen Wirkung auf aquatische Organismen und den ökologischen Folgen. Reifenabrieb gelangt vor allem durch Wind und Regen in Flüsse und Seen und macht 50 bis 90 Prozent des Mikroplastiks aus, das bei Regen von Straßen abgewaschen wird. Wissenschaftliche Hochrechnungen deuten außerdem darauf hin, dass fast die Hälfte (45 %) des Mikroplastiks in Böden und Gewässern auf Reifenabrieb zurückzuführen ist. Die Konzentration in Gewässern variiert stark und liegt zwischen 0,00001 und 10.000 Milligramm pro Liter.

In diesem Artikel analysieren die Autoren bestehende Studien über die Auswirkungen von Reifenabrieb auf Wasserorganismen und geben einen Überblick über die möglichen ökologischen Folgen. „Das Problem beim Reifenabrieb sind nicht nur die Partikel selbst, die lange in der Umwelt verbleiben und sich wie anderes Mikroplastik verhalten, sondern auch die Auswaschung von giftigen Zusatzstoffen“, sagt Prof. Hans-Peter Grossart, IGB-Forscher und Mitautor der Übersichtsstudie.

Nicht nur Gummi: Von den mehr als 2.400 Chemikalien werden mindestens 140 Zusatzstoffe ausgelaugt

Autoreifen bestehen nicht nur aus Kautschuk; in Reifengummi sind insgesamt 2.456 chemische Verbindungen enthalten, von denen mindestens 144 in Auslaugungen nachweisbar sind. Dazu gehören organische Schadstoffe wie Hexa(methoxymethyl)melamin, Dibutylphthalat sowie N-(1,3-Dimethylbutyl)-N′-phenyl-p-phenylendiamin (6-PDD) und dessen Chinon-Form. Zudem finden sich Schwermetalle wie Zink, Mangan, Cadmium und Blei in beträchtlichen Mengen. Diese Stoffe werden als Ozonschutzmittel, Antioxidationsmittel, Weichmacher, Vulkanisationschemikalien sowie Verstärkungs- und Füllstoffe eingesetzt. „Beim Auslaugungsprozess setzt Reifenabrieb mehr Chemikalien frei als Thermoplastik wie PE. Und wir gehen auch davon aus, dass noch mehr Stoffe ausgelaugt werden, als bisher bekannt“, sagt Hans-Peter Grossart.

Reifenabrieb

Autoreifen bestehen aus mehr als nur Gummi. Viele der Bestandteile sind giftig.

Schäden für Individuen und Ökosysteme

Partikel und ihre Auslaugungen können im Körper die Bildung freier Radikale (oxidativer Stress) fördern, Erbgutveränderungen verursachen und die Immunreaktion beeinflussen. Auf organismischer Ebene beeinträchtigen sie das Fressverhalten, die Fortpflanzung und das Überleben der Lebewesen. Die Studie beleuchtet auch die größeren Folgen für die Struktur und Funktion von Ökosystemen, um die Lücke zwischen toxikologischen Reaktionen bei Lebewesen und den Prozessen auf Ökosystemebene zu schließen. Auf dieser Ebene führen die Partikel zu Verschiebungen in der Artenzusammensetzung, verringern die Biodiversität und verändern das Nahrungsnetz. Dadurch beeinflussen sie den Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf erheblich und wirken sich auf Prozesse wie Biomassebildung und Nährstoffverfügbarkeit aus.

Da Giftigkeitsstudien meist unter Laborbedingungen durchgeführt werden, lassen sich ihre Ergebnisse nur bedingt auf natürliche Ökosysteme übertragen, da dort komplexere Interaktionen zwischen unbelebter Materie und Lebewesen bestehen und im Labor oft höhere Konzentrationen getestet werden als in der Umwelt vorkommen. Dennoch empfehlen die Autor*innen, die Gefahren von Reifenabrieb ernst zu nehmen.

Hans-Peter Grossart ergänzt: „Auch werden globale Umweltveränderungen wie Erwärmung und Versauerung die Auswirkungen von Reifenabrieb und seinen Auslaugungen noch verschärfen, indem sie ihre Toxizität sowie ihre interaktiven Auswirkungen auf die mikrobielle Aktivität, den Nährstoffkreislauf und die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen verändern.“

Einträge von Reifenabrieb in Naturräume mindern

Mehrere Studien untersuchen, wie Reifenabrieb in der Umwelt verteilt wird. Zwar wird er auch durch Wind transportiert, doch reichert er sich vor allem in der Nähe seiner Entstehungsorte an, etwa in Sedimenten und Wassereinzugsgebieten, die an stark befahrene Straßen angrenzen. Forschende schätzen, dass nur etwa zwei Prozent aller Abriebpartikel von Flüssen bis in die Küstengebiete gelangen. „Dass diese Partikel weitgehend lokal verbleiben, bietet Potenzial für eine bessere Prävention“, erklärt Hans-Peter Grossart. „Wirksame Minderungsstrategien betreffen natürlich die Entwicklung alternativer Reifenherstellungen. Aber auch die bessere Abgrenzung von Straßen und Abwässern gegenüber Naturräumen. Und letztlich kann jeder Mensch mit einem umsichtigen Fahrstil einen Beitrag leisten“, sagt er.

Zur Übersichtsstudie

Die Autor*innen präsentieren in ihrem Artikel aktuelle Konzentrationsdaten von Reifenabrieb in verschiedenen aquatischen Umgebungen. So wurde beispielsweise im Sediment des Tegeler Sees in Berlin 0,17 mg/kg gemessen, während das Sediment der Seine in Paris laut einer Studie von Barber et al. aus 2024 mit 300 mg/kg belastet war. Zudem enthalten sie eine Übersichtstabelle zur akuten Toxizität der Auslaugungen von Reifenabrieb auf verschiedene aquatische Tierarten.

Quelle

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) (07/2025)

Publikation

Wenjuan Song, Li Lin, Seungdae Oh, Hans-Peter Grossart, Yuyi Yang, Tire wear particles in aquatic environments: From biota to ecosystem impacts, Journal of Environmental Management, Volume 388, 2025, 126059, ISSN 0301-4797, https://doi.org/10.1016/j.jenvman.2025.126059.
Yousuf Dar Jaffer, Fazel Abdolahpur Monikh, Klümper Uli, Hans-Peter Grossart, Tire wear particles enhance horizontal gene transfer of antibiotic resistance genes in aquatic ecosystems, Environmental Research, Volume 263, Part 3, 2024, 120187, ISSN 0013-9351, https://doi.org/10.1016/j.envres.2024.120187.

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