Forschende der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) haben eine besorgniserregende Entdeckung gemacht: Lifestyle-Produkte enthalten Schadstoffe, die von bisherigen Testverfahren nicht erfasst und somit auch nicht reguliert werden. Mithilfe einer neu entwickelten Analysemethode untersuchten die Forschenden 140 Pflegeprodukte und Kosmetika aus 20 verschiedenen Produktsegmenten sowie über 40 Parfüms.
Die Ergebnisse sind alarmierend: Es wurden Schadstoffe gefunden, die mutagene (erbgutverändernde), zelltötende, antibakterielle, neuromodulierende bzw. neurotoxische sowie den Hormonhaushalt stark beeinflussende Eigenschaften aufweisen. Eine simulierte Leberverstoffwechselung zeigte zudem, dass der Körper diese Schadstoffe möglicherweise nicht effektiv entgiften kann.
Neue Wege zur Identifizierung unbekannter Schadstoffe
Die von den JLU-Wissenschaftlerinnen entwickelte Methode stellt einen Durchbruch dar: Sie ermöglicht es, unbekannte Schadstoffe in komplexen Produkten zu identifizieren und gleichzeitig deren Wirkung auf Zellen und Rezeptoren zu untersuchen. Der entscheidende Vorteil ist, dass ein Schadstoff nicht erst bekannt sein muss, um seine Effekte sichtbar zu machen. Bei diesen bislang unentdeckten Substanzen kann es sich sowohl um Inhaltsstoffe als auch um Kontaminanten, Verunreinigungen oder Abbauprodukte handeln.
„Wir haben die derzeitige Stofftrennung um die Effektdetektion erweitert und sehen erstmals sehr aussagekräftig wie viele Schadstoffe in solchen Alltagsprodukten sind“, erläutert Prof. Dr. Gertrud Morlock, Professorin für Lebensmittelwissenschaften an der JLU. „Komplexe Stoffgruppen wie Mineralöle umfassen Stoffe mit unterschiedlicher Toxizität, wodurch die gleiche Menge unterschiedlicher Vertreter dieser Stoffgruppe zu völlig anderen Effekten führen kann. Mit den bisherigen Analysemethoden übersieht man Stoffe, die außerhalb des Fokus liegen, aber dennoch eine Schadwirkung haben. Oder man erfasst die gesamte Stoffgruppe, die jedoch mehr oder weniger schädlich sein kann. Die neue Methodik ist aussagekräftiger und verbessert unser Verständnis über solch komplexe Produkte.“
Unregulierte Schadstoffe in Alltagsprodukten sind ein potenzielles Risiko für Mensch und Umwelt
In einer Vielzahl der untersuchten Produkte, darunter Lippenstifte, Pflegecremes, Wundcremes und Brustwarzencremes, stießen die Wissenschaftlerinnen auf relevante Mengen an Schadstoffen, die bislang keinerlei regulatorischer Kontrolle unterliegen. Es ist schwierig, die genauen Auswirkungen dieser Substanzen auf den Menschen oder die Natur nachzuweisen.
Es ist jedoch denkbar, dass sie einen Einfluss auf das Hautmikrobiom und den gesamten Körper haben. Dies gilt insbesondere, wenn die Schadstoffe über Wunden, Mikrorisse in der Haut – die beispielsweise beim Rasieren entstehen können – oder Zahnfleischbluten direkt in die Blutbahn gelangen. Darüber hinaus könnten die Substanzen beim Abwaschen auch negative Auswirkungen auf Natur und Umwelt haben.
Minimierung von Schadstoffen durch innovative Testverfahren
Die neue Methode bietet zudem vielversprechende Möglichkeiten zur Minimierung von Schadstoffen in Produkten. Durch die Kombination von Probenauftrennung und Effekterkennung können neu entdeckte Schadstoffe schnell analysiert und sogar identifiziert werden. Dies ermöglicht es, ihre Herkunft zu ermitteln und Wege zu finden, um sie in zukünftigen Produkten zu vermeiden.
Die Untersuchungsmethode ist einfach zu integrieren und umzusetzen. Die JLU-Wissenschaftler haben das kostengünstige Open-Source-System 2LabsToGo-Eco entwickelt. Dieses Tool ermöglicht es Herstellern und Überwachungsbehörden, die Schadstoffbelastung von Lifestyle-Produkten, Kosmetika, Lebensmitteln, Futtermitteln und Umweltproben zukünftig effektiver zu prüfen und somit zu reduzieren.
„Unsere Studien zeigen auch, dass es vereinzelt Produkte gibt, die schon heute besser abschneiden“, so Prof. Morlock. „So enthielten Produkte, die als frei von Mineralölrückständen gekennzeichnet waren, vergleichsweise weniger erbgutverändernde und mutagene Mineralölrückstände. Dennoch ist es dringend nötig zu handeln, aufgrund der Vielzahl der betroffenen Kosmetika und Pflegeprodukte, von denen Verbraucherinnen und Verbraucher in der Regel täglich mehrere verwenden. Eine Möglichkeit wäre das Minimierungskonzept, das Schadstoffe in den Produkten kontinuierlich reduziert und mittelfristig sowohl den Verbraucherschutz als auch den Umweltschutz verbessert.“
Quelle
Justus-Liebig-Universität Gießen (06/2025)
Publikation
Morlock G.E., Chemical safety screening of products – better proactive, J. Chromatogr. A 1752 (2025) 465946.
https://doi.org/10.1016/j.chroma.2025.465946
Morlock G.E., Zoller L., Fast unmasking toxicity of safe personal care products, J. Chromatogr. A 1752 (2025) 465886.
https://doi.org/10.1016/j.chroma.2025.465886
Morlock G.E., Heil J., Fast unmasking hazards of safe perfumes, J. Chromatogr. A 1754 (2025) 465959.
https://doi.org/10.1016/j.chroma.2025.465959
Romero M.C.O., Jakob K., Schmidt J., Nimmerfroh T., Schwack W., Morlock, G.E., Consolidating two laboratories into the most sustainable lab of the future: 2LabsToGo-Eco, Anal. Chim. Acta 1367 (2025) 344103.
https://doi.org/10.1016/j.aca.2025.344103