Forschende konnten am European XFEL detailliert beobachten, wie sich das lebenswichtige Eisenprotein Ferritin selbst in einer extrem dichten Umgebung seinen Weg bahnt, was weitreichende Konsequenzen für die Medizin und die Nanotechnologie hat. Im Inneren biologischer Zellen herrscht nämlich ein dichtes Gedränge: Millionen von Proteinen bewegen sich nebeneinander, stoßen aneinander oder lagern sich kurzfristig zusammen, während sie gleichzeitig wichtige Aufgaben zeitig erfüllen müssen. Wie genau sich diese Proteine in solch beengten Verhältnissen bewegen, war bisher nur schwer zu verfolgen. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Anita Girelli und Fivos Perakis von der Universität Stockholm hat nun mithilfe des Röntgenlasers European XFEL in Schenefeld bei Hamburg diese Bewegungen genauer untersucht – und dabei ein überraschendes Muster aufgedeckt.
Moleküle im „Käfig“
Im Fokus der Experimente stand Ferritin, ein kugelförmiges Protein, das in nahezu allen Lebewesen vorkommt und die Speicherung von Eisen übernimmt. Bei Untersuchungen in hoher Konzentration zeigte Ferritin jedoch ein ungewöhnliches Verhalten: Anstatt sich gleichmäßig und zufällig zu bewegen, wie es die klassische Brownsche Molekularbewegung beschreibt, gerät Ferritin immer wieder in eine Art molekularen Käfig. In dieser Situation wird es kurzfristig von den umgebenden Nachbarproteinen blockiert, bevor es sich wieder befreien und seine Bewegung fortsetzen kann.
Schnappschüsse im Mikrosekunden-Takt
Um diese winzigen Bewegungen sichtbar zu machen, nutzte das Team die neuartige Megahertz-Röntgen-Photonenkorrelationsspektroskopie (MHz-XPCS). Wie Johannes Möller vom European XFEL erklärt, ermöglichten die extrem schnellen Röntgenblitze des European XFEL die Aufzeichnung der Proteinbewegungen innerhalb von Millionstel Sekunden. Damit schließen die Forschenden eine wichtige Lücke, da etablierte Methoden wie Lichtstreuung oder Kernspinresonanz Proteinbewegungen nicht mit dieser Präzision und Geschwindigkeit messen können.
Unerwartete Einblicke – praktische Folgen
Die Beobachtungen belegen, dass das Käfig-Phänomen umso ausgeprägter ist, je dichter die Umgebung wird. Studienleiterin Anita Girelli fasst zusammen: „Die Proteine bewegen sich nicht einfach langsamer, sondern auf komplexe Weise ungewöhnlich eingeschränkt“. Ihr Kollege Fivos Perakis ergänzt: „Diese Erkenntnisse sind nicht nur für die Grundlagenforschung relevant. Sie könnten auch helfen, neue biomedizinische Anwendungen zu entwickeln“.
Ferritin wird aktuell erforscht, da es sich zur zeitverzögerten Freisetzung von Wirkstoffen im Körper eignen könnte. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Proteine verbreiten und diffundieren, beeinflusst dabei direkt deren Wirksamkeit. Darüber hinaus wird Ferritin für weitere Anwendungen diskutiert, beispielsweise als Kontrastmittel für die Magnetresonanztomografie (MRT) oder als Baustein für Nanomaterialien.
„Mit dem European XFEL konnten wir die kollektiven Bewegungen von Proteinen so genau verfolgen wie nie zuvor“, sagt Girelli. Die gewonnenen Erkenntnisse tragen nicht nur zum besseren Verständnis biologischer Grundlagenprozesse bei, sondern eröffnen auch neue Perspektiven für medizinische Anwendungen.
Die Studie ist Teil eines Langzeitprojekts an der European XFEL MID Experimentierstation und wurde in Kooperation mit zahlreichen Forschungseinrichtungen durchgeführt, darunter die Universitäten Siegen, Tübingen und die TU Dortmund, die ESRF, das ILL in Grenoble sowie das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg.
Quelle
Publikation
Coherent X-rays reveal anomalous molecular diffusion and cage effects in crowded protein solutions. Girelli, A., Bin, M., Filianina, M. et al. Nat Commun (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-66972-6