Instabile Proteine verstehen

1. Dezember 2025

Etwa 80 Prozent der Proteine, die eine Rolle bei komplexen Krankheiten wie Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen spielen, weisen keine stabile, feste Struktur auf. Diese werden als intrinsisch ungeordnete Proteine (IDPs) bezeichnet. Ihre Eigenschaft, sich schnell und flexibel an die sich ständig ändernden Bedingungen in unseren Zellen anpassen zu können, macht sie zu einem wichtigen Forschungsgegenstand. Ein tiefergehendes Verständnis dieser Proteine könnte den Weg für die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze ebnen. Ein Forschungsteam, geleitet von Puja Shrestha und Prof. Dr. Simon Ebbinghaus, hat sich der Untersuchung eines dieser IDPs gewidmet und sein dynamisches Verhalten detailliert beschrieben.

Multifunktionales Protein

Im Fokus dieser Studie stand ein spezifischer, gefalteter Abschnitt – die sogenannte Kälteschockdomäne (CSD), oder genauer CSDex – innerhalb des YB1-Proteins. Das YB1-Protein selbst ist ein intrinsisch ungeordnetes Protein (IDP), das in der Zelle eine Vielzahl von Schlüsselfunktionen übernimmt. Die zentrale Fragestellung der Forschenden war, wie genau dieser Domänenbereich seine strukturelle Stabilität unter den zellulären Bedingungen aufrechterhält. Das YB1-Protein ist für die Zelle von großer Bedeutung, da es an vielen ihrer wichtigsten Aktivitäten beteiligt ist, wozu unter anderem das Ablesen von Genen, die Herstellung von Proteinen und die Verarbeitung von RNA gehören.

Die Forschenden konnten feststellen, dass das CSDex-Protein unter physiologischen Bedingungen eine nur mäßige Stabilität besitzt. Das bedeutet, dass sich etwa die Hälfte der Moleküle in ihrer gefalteten, stabilen Struktur befindet, während die andere Hälfte ungefaltet und somit flexibler bleibt. Diese Dynamik ändert sich jedoch drastisch, sobald das Protein an Nukleinsäuren bindet. In diesem gebundenen Zustand wechselt das CSDex-Protein fast vollständig in seine gefaltete Form. „Das deutet darauf hin, dass diese Wechselwirkungen das Protein auf eine Weise stabilisieren, die dazu beiträgt, es in seiner funktionellen Form zu fixieren“, so Simon Ebbinghaus.

Wissen zur Behandlung von Erkrankungen

Das Team weist zudem darauf hin, dass das Protein in der Lage ist, viele verschiedene Strukturen anzunehmen. Diese strukturelle Pluralität ermöglicht eine schnelle und effiziente Wechselwirkung mit einer Vielzahl unterschiedlicher Nukleinsäuren. Die beobachtete mäßige Stabilität des CSDex könnte dabei einen natürlichen Kompromiss darstellen: Sie verleiht dem Protein die nötige Flexibilität, um effizient mit den verschiedenen Molekülen zu interagieren, und gewährleistet gleichzeitig, dass es seine vielfältigen Funktionen in der Zelle erfüllen kann.

„CSDex-Nukleinsäure-Wechselwirkungen führen beispielsweise zur Überproduktion verschiedener Proteine oder zur Reparatur von Nukleinsäuren, wodurch Krebszellen resistenter gegen Chemotherapie werden“, erklärt Puja Shrestha. In zukünftigen Forschungen könnten Moleküle entwickelt werden, die auf CSDex-Nukleinkomplexe abzielen und krankheitsbezogene Wechselwirkungen spezifisch blockieren.

Quelle

Ruhr-Universität Bochum (11/2025)

Publikation

Puja Shrestha, Sara S. Ribeiro, Janne Aurich, Christian Herrmann, Simon Ebbinghaus: Marginal Stability of the YB1 Cold-Shock Domain in Cells Enables Binding of Multiple Nucleic Acids, in: Advanced Science, 2025, DOI: 10.1002/advs.202512966, https://advanced.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/advs.202512966

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