Ein Forschungsteam aus der Arbeitsgruppe von Prof. Benjamin List am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung hat ein lange ungelöstes Problem der Chemie erfolgreich gelöst: die Synthese stabiler, offenkettiger Amine, deren Chiralität direkt auf dem Stickstoffatom zentriert ist. Dies stellt eine Premiere dar, die durch eine neu entwickelte katalytische Reaktion sowie einen präzise konstruierten, stark begrenzten Katalysator ermöglicht wurde. Die Arbeit der Mülheimer Forscher wird als grundlegend eingestuft. Sie eröffnet nun neue Wege für die Entwicklung von künftigen Wirkstoffen, Katalysatoren und Materialien.
Herausforderung der Stickstoff-Chiralität
Viele Moleküle existieren in der Natur als unterschiedliche Spiegelbildformen, ein Phänomen, das als Chiralität bekannt ist. Während die selektive Herstellung einer der beiden Formen bei kohlenstoffbasierten Molekülen (die besonders relevant für Biologie und Medizin sind) mittlerweile ein etabliertes Feld der Chemie darstellt, wird die gezielte Synthese einer reinen Spiegelbildform extrem schwierig, wenn die Chiralität stattdessen auf dem Stickstoffatom basiert. Bisher ging man sogar davon aus, dass dies bei offenkettigen Aminen (Molekülen mit einer Kette und einer Aminogruppe) unmöglich sei. Der Grund dafür ist, dass sich das Stickstoffatom durch eine pyramidale Inversion schnell wie ein Regenschirm umklappen kann. Dadurch verliert es die chirale Reinheit und damit die gewünschte spezifische räumliche Anordnung.
Stabilisierung der Stickstoff-Chiralität durch Katalyse
Die aktuelle Studie der Mülheimer Forschungsgruppe zeigt nun, dass die pyramidale Inversion des Stickstoffatoms deutlich verlangsamt wird, wenn zwei sauerstoffhaltige Gruppen an das Stickstoffatom gebunden werden. In Kombination mit einer neu entwickelten katalytischen Reaktion gelang es den Forschenden, sogenannte enantiomerenreine Produkte zu erhalten. Diese Reaktion beinhaltet die Zugabe eines Enolsilans zu einem Nitroniumion unter Verwendung eines eng begrenzten chiralen Katalysators. Die Verwendung von Säuren als Katalysatoren ist dabei eine anerkannte Spezialität der Arbeitsgruppe um Professor List, die diesen Durchbruch ermöglichte.
„Lange Zeit glaubte man, dass stickstoffstereogene Amine mit offenen Ketten nicht hergestellt werden können“, erklärt Dr. Chandra De. „Wir zeigen, dass es doch möglich ist – wenn man den Stickstoff ‚immobilisiert‘ und die Reaktion in eine enge, maßgeschneiderte Tasche zwingt.“
Die kontrollierte Synthese von N-stereogenen, offenkettigen Aminen war bisher extrem schwierig. Der nun entwickelte katalytische Ansatz macht diese Moleküle erstmals hochselektiv zugänglich. Dieses Prinzip – basierend auf einem engen, enzymähnlichen Katalysatorraum in Kombination mit gezielter Substituentenauswahl – könnte zukünftig auch auf andere pyramidenförmige Moleküle übertragen werden.
Quelle
Max-Planck-Institut für Kohlenforschung (11/2025)
Publikation
The Asymmetric Synthesis of an Acyclic N-Stereogenic Amine
Chendan Zhu, Sayantani Das, Marie Sophie Sterling, Nobuya Tsuji, Spencer J. Léger, Frank Neese, Chandra Kanta De & Benjamin List
https://www.nature.com/articles/s41586-025-09905-z