Die Entdeckung von krebsverursachenden Genen in Tieren mithilfe der CRISPR-Genschere ist bisher nur eingeschränkt möglich, da die Methode direkt mit dem Immunsystem interferiert. Forschende der ETH Zürich haben jedoch kürzlich gezeigt, dass es durch gezielte Tricks gelingt, die Genschere für Immunzellen unsichtbar zu machen. Dies ist von großer Bedeutung, da das Immunsystem bei der Bekämpfung von Tumoren und Metastasen eine entscheidende Rolle spielt. Daher ist es für die Krebsforschung unerlässlich, Mausmodelle mit einem möglichst natürlichen Immunsystem zu nutzen. Das stellt in der Praxis allerdings oft eine Herausforderung dar.
Mithilfe der CRISPR/Cas9-Technologie können Forschende zügig einen Pool von Hunderten von Tumorzellen generieren, in denen jeweils ein spezifisches Gen ausgeschaltet wurde. Durch die Transplantation dieser Zellen in Mäuse lässt sich anschließend ermitteln, welche dieser „stumm geschalteten“ Gene die Entstehung und Ausbreitung des Krebses maßgeblich beeinflussen. Solche CRISPR-Screens liefern Wissenschaftler:innen wertvolle Ansatzpunkte für die Entwicklung neuartiger Therapien.
Allerdings hat diese Methode einen Haken: Die Bestandteile von CRISPR/Cas9 sind größtenteils bakteriellen Ursprungs. Aus diesem Grund erkennt und bekämpft das Immunsystem der Mäuse diese Komponenten als fremd. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Immunreaktion die Ergebnisse der CRISPR-Screens verfälscht.
Die Forschungsgruppe von Nicola Aceto konnte nun erstmals im Detail nachweisen, dass diese befürchtete Immunreaktion tatsächlich auftritt. Parallel dazu stellte das Team eine elegante Lösung für das Problem vor: eine spezielle Strategie, bei der CRISPR/Cas9 eine Art molekulare Tarnkappe aufgesetzt wird, wodurch es für das Immunsystem unsichtbar wird.
Bakterielle Komponenten stören
Das Team hat daher eine alternative Methode für CRISPR/Cas9-Screens entwickelt, die praktisch keine Immunreaktion provoziert. Hierzu setzten die Forschenden die Tumorzellen zunächst nur vorübergehend der bakteriellen Genschere Cas9 aus. Anschließend isolierten sie lediglich jene Tumorzellen, bei denen die Stummschaltung eines Gens erfolgreich war. Diese Zellen enthielten nun weder Cas9 noch andere Elemente, die eine Immunantwort auslösen könnten.
Zusätzlich wurden die sogenannten Reportergene ausgetauscht. Bei CRISPR-Screens werden diese Gene anstelle der ausgeschalteten Gene in das Erbgut der Tumorzellen integriert, um die modifizierten Zellen in den Mäusen nachverfolgen zu können. Anstatt der üblichen Reportergene, die aus verschiedenen Organismen stammen, verwendeten die Forschenden ein neues Gen. Dessen Produkt unterscheidet sich nur minimal von einem körpereigenen Protein der Mäuse. Dadurch wird es vom Immunsystem quasi übersehen und nicht als fremd erkannt.
„Wir haben eine Methode entwickelt, um CRISPR-Screens in Mäusen mit intaktem Immunsystem durchzuführen – ohne unerwünschte Nebeneffekte“, bilanziert Krebsforscher Aceto. Der Vorteil daran ist, dass das System vielseitig einsetzbar ist, auch in humanisierten Mäusen – Tieren, die über ein menschliches Immunsystem verfügen. „Das ist so nahe am Krebspatienten wie es nur geht.“ Die Tarnkappe für die Genschere eigne sich aber auch für Anwendungen in der personalisierten Medizin oder zur Erforschung von Autoimmunerkrankungen.
„Mit diesem System erreichen wir ein neues Mass an Genauigkeit und können, – das ist für uns besonders wichtig – neue Angriffspunkte für Therapien entdecken“, sagt Saini.
Übersehene Gene für Metastasenbildung aufgedeckt
Mit der entwickelten „Tarnkappenversion“ der Genschere führte das Team bereits einen CRISPR-Screen durch und erzielte dabei einen vielversprechenden Erfolg. Die Stummschaltung der beiden Gene AMH und AMHR2 führte zu einer drastischen Reduktion der Metastasen in einem Brustkrebs-Mausmodell. Weiterführende Analysen belegten zudem die klinische Relevanz des Signalwegs, an dem diese beiden Gene beteiligt sind. Beispielsweise zeigte die Auswertung von Patientinnendaten, dass eine hohe Konzentration des AMH-Proteins im Tumor mit einer erhöhten Rückfallrate und einer größeren Sterblichkeit bei Brustkrebs assoziiert ist. Das Genpaar AMH/AMHR2 stellt somit einen neuen Ansatzpunkt für die gezielte Bekämpfung von Metastasen dar.
„Die Bedeutung dieses Signalwegs wurde unterschätzt“, sagt Aceto. „Mit CRISPR im Tarnkappenmodus können wir jetzt Zusammenhänge aufdecken, die bisher verborgen waren.“
Quelle
Publikation
Saini M, Castro-Giner F, Hotz A, et al. StealTHY: An immunogen-free CRISPR platform to expose concealed metastasis regulators in immunocompetent models, Cell (2025), https://doi.org/10.1016/j.cell.2025.10.007