Ein Forschungsteam unter Leitung der TU Darmstadt hat erstmals Hinweise auf eine dreiachsige Struktur im Verlauf der Kernradien kurzlebiger Rutheniumkerne entdeckt. Durch den Einsatz einer neuen Hochpräzisions-Anlage konnten sie winzige Unterschiede im Atomradius messen. Dies ist ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis der Formenvielfalt von Atomkernen.
Mithilfe der Laserspektroskopie lässt sich die relative Größe unterschiedlicher Atomkerne desselben Elements bestimmen, indem kleinste Veränderungen in deren Atomspektren gemessen werden. Forschende der TU Darmstadt haben in einer internationalen Kollaboration am Argonne National Laboratory die neue Apparatur ATLANTIS für diese Experimente aufgebaut. Diese hochsensitive Anlage ermöglichte es dem Team, die Größe einer Reihe künstlich erzeugter radioaktiver Rutheniumkerne zu untersuchen. Von diesen Kernen war bereits bekannt, dass sie eine besondere, als triaxial bezeichnete, Form besitzen.
Z und N: Wie Protonen und Neutronen die Kernform bestimmen
Kerne in der Nähe sogenannter magischer Zahlen (wie 28 oder 50), bei denen Protonen- (Z) und Neutronenanzahl (N) die jeweiligen Schalen abschließen, sind praktisch sphärisch. Abweichend davon werden deformierte Kerne in Kernmodellen meist als rotationssymmetrisch angenommen. Bei diesen ist eine Achse gegenüber den anderen entweder verkürzt (diskusförmig, oblat) oder verlängert (wie ein Rugbyball, prolat). Dies verändert den gemessenen Kernradius. Auch das elektrische Quadrupolmoment, das die Abweichung von der Kugelform misst, gibt Aufschluss darüber, ob der Kern eher flach oder länglich verformt ist.
Merkmale triaxialer Kerne
Bei einigen Atomkernen sind keine der Achsen gleich lang, was bedeutet, dass der Querschnitt senkrecht zur Hauptachse elliptisch statt kreisrund ist. Solche Kerne werden als triaxial bezeichnet. Ihre Form ist mit der einer Kaffeebohne oder Mandel vergleichbar, da alle drei Achsen unterschiedliche Längen aufweisen. Experimentelle Daten weisen darauf hin, dass einige der jetzt untersuchten, kurzlebigen Isotope des Elementes Ruthenium eine solche triaxiale Deformation aufweisen.
Neuartiges theoretisches Modell
Der Einfluss dieser triaxialen Form auf den hier bestimmten Kernladungsradius ist jedoch viel subtiler als der Einfluss der Quadrupol-Deformation. Um den Einfluss der Triaxialität dennoch zu untersuchen, verwendeten die Forschenden ein neuartiges theoretisches Modell, das an der Universität Brüssel entwickelt wurde. Dessen Vorhersagen verglichen sie mit den neuen experimentellen Daten: „Die Übereinstimmung ist ausgezeichnet, aber nur, wenn wir eine dreiachsige Verformung berücksichtigen,“ erläutert Bernhard Maaß.
„Der Effekt, den wir beobachteten, ist viel signifikanter als das, was man von einer einfachen Modellierung des Kerns als Flüssigkeitstropfen erwarten würde“, ergänzt Kristian König. Dies unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit, die interne, quantenmechanische Anordnung der Kernbestandteile bei der Diskussion über die Größe und Form von Atomkernen stets zu berücksichtigen.
Hochleistung bei Ruthenium-Spektroskopie
Die Spektroskopie der Rutheniumisotope untersuchte nicht nur eine hochinteressante Isotopenkette, sondern demonstrierte zugleich die Leistungsfähigkeit des ATLANTIS-Experimentes im ersten Anlauf. ATLANTIS nutzt die Methode der kollinearen Spektroskopie. Bei dieser werden ein Laserstrahl und ein Teilchenstrahl parallel ausgerichtet. Diese Technik wurde vor rund 50 Jahren entwickelt und kontinuierlich verbessert.
Die ATLANTIS-Anlage ist an eine besonders effiziente „Ionenfalle“ gekoppelt. Dort wurden die erzeugten kurzlebigen Isotope zunächst bis zu einer halben Minute gesammelt und gekühlt. Danach leitete man sie gebündelt als Paket von einer Mikrosekunde Dauer an das Experiment weiter. Dadurch konnte man den Untergrund um mehr als den Faktor eine Million reduzieren. Dies ermöglichte die Untersuchung von Isotopen mit äußerst geringen Produktionsraten von nur einigen zehn Ionen pro Sekunde.
Innovation bei der Neutralisation und der Einsatzort von ATLANTIS
Eine weitere wichtige Neuerung im Experiment war die Neutralisation der Ionen mittels Magnesiumatomen. Bisher setzte man für diesen Zweck stets Alkalimetalle wie Natrium und Kalium ein. Es stellte sich heraus, dass Magnesium sehr hohe Neutralisationseffizienzen ermöglicht, ohne dabei das Profil der beobachteten Resonanzlinien nennenswert zu beeinflussen.
Die ATLANTIS-Strahllinie wurde ursprünglich um 2010 für Experimente an der FAIR-Anlage der GSI in Darmstadt entwickelt. Aufgrund von Verzögerungen beim Bau des Beschleunigers wurde die Strahllinie stattdessen zum Argonne National Laboratory in der Nähe von Chicago transportiert. Dort wurde sie weiterentwickelt und nun erstmals für radioaktive Isotope eingesetzt. Das Experiment profitierte dabei von einer Quelle neutronenreicher Spaltprodukte, die an der Argonne ATLAS Beschleunigeranlage externen Nutzern zur Verfügung gestellt wird.
Quelle
Publikation
B. Maaß, W. Ryssens, K. König et al.: „Fingerprints of triaxiality in the charge radii of neutron-rich Ruthenium“, Physical Review Letters 135, 012345 (2025)
doi.org/10.1103/81h5-wjkd
https://doi.org/10.1103/81h5-wjkd