Großer Teil des organischen Kohlenstoffs im Arktischen Ozean stammt vom Land

18. November 2025

Der Klimawandel und die damit verbundenen steigenden Temperaturen führen zu einem fortschreitenden Auftauen der arktischen Permafrostböden. Dabei wird organisch kohlenstoffhaltiges Material freigesetzt, das in großen Mengen in den zentralen Arktischen Ozean abfließt. In einer neuen Studie unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) ist es Forschenden nun gelungen, die Menge der vom Land stammenden organischen Stoffe zu quantifizieren, die sich im Arktischen Ozean anreichern. Mithilfe chemischer Fingerabdrücke konnten sie zudem bewerten, wie viel zusätzliches CO₂ diese Einträge an den Ozean abgeben. Diese neuen Erkenntnisse bilden eine wichtige Grundlage für präzisere Prognosen, wie diese massiven Kohlenstoffeinträge die marinen Ökosysteme der Arktis und insbesondere die CO₂-Speicherfähigkeit des Ozeans beeinflussen werden.

Wenn der Permafrost in der Arktis auftaut, werden sehr alte organische Stoffe aus Pflanzen, Mikroorganismen oder Tieren freigesetzt. Dieser in den Stoffen enthaltene Kohlenstoff war zuvor über Hunderte oder gar Tausende von Jahren im Boden gefroren. Flüsse transportieren dieses freigesetzte Material in den Arktischen Ozean, wo es zu sogenanntem gelöstem organischem Material (DOM, dissolved organic matter) wird. „Dieses Material bildet ein großes Reservoir an organischem Kohlenstoff im Ozean, dessen Volumen mit der Menge an atmosphärischem CO₂ vergleichbar ist“, sagt Dr. Xianyu Kong, Wissenschaftlerin am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Erstautorin der Studie. „Im Vergleich zu den meisten anderen Ozeanen, fließt mehr Süßwasser und eine unverhältnismäßig große Menge an terrestrischen organischen Stoffen in den Arktischen Ozean. Diese stammen aus Einträgen von tauendem Permafrost, einmündenden Flüssen und Küstenerosion.“

Arktis taut auf: 16% des Ozean-Kohlenstoffs stammen vom Land

Die AWI-Wissenschaftlerin hat nun zusammen mit deutschen, norwegischen und dänischen Kollegen die Menge an organischem Kohlenstoff quantifiziert, die sich im zentralen Arktischen Ozean angesammelt hat. „Unsere Studie zeigt, dass etwa 16 Prozent des gesamten gelösten organischen Kohlenstoffs terrestrischen Ursprungs ist. Dieser verbleibt sogar im tiefen Ozean, wo wir überraschenderweise eine durchweg hohe Menge festgestellt haben“, sagt Xianyu Kong. „Dies legt die Vermutung nahe, dass ein Teil der organischen Stoffe von Land chemisch stabil genug ist, um einen langen Transport zu überstehen und schließlich vom zentralen Arktischen Ozean in das nordatlantische Tiefenwasser zu gelangen. Dadurch werden arktische Prozesse mit dem globalen Kohlenstoffkreislauf verbunden.“

Der Kohlenstoff aus dem Land wird nicht nur über Flüsse, sondern auch an der Wasseroberfläche weitertransportiert: Die sogenannte Transpolardrift, eine bedeutende Oberflächenströmung, befördert Süßwasser, Meereis und Nährstoffe über das Polarmeer in Richtung Nordatlantik. Die Forschenden stellten fest, dass der Gehalt an gelöstem organischem Kohlenstoff aus terrestrischen Quellen in dieser Transpolardrift etwa doppelt so hoch war wie in den umliegenden Regionen. Auf dieser Basis schätzten sie, dass jährlich rund 39 Millionen Tonnen terrestrischer Kohlenstoff aus der Arktis in den Atlantik transportiert werden.

Karte zeigt gelösten organischen Kohlenstoff vom Land im Arktischen Ozean

Das aus terrestrischen Quellen stammende gelöste organische Material beeinflusst den organischen Kohlenstoffkreislauf im Arktischen Ozean auf vielfältige Weise, da es sowohl die Verfügbarkeit von Licht und Nährstoffen als auch die mikrobiellen Prozesse in der Wassersäule verändert. „Frühere Studien zeigen, dass die Konzentration von gelöstem organischem Kohlenstoff in Süßwasserumgebungen als Reaktion auf den Klimawandel zunimmt“, sagt Prof. Boris Koch, Mitautor der Studie und chemischer Ozeanograph am AWI. „Für den Arktischen Ozean liegen jedoch keine Daten zu ähnlichen Trends vor, was teilweise auf das Fehlen von geeigneten Messmethoden zurückzuführen ist.“

Mit diesen Ergebnissen schließen die Forschenden eine wichtige Wissenslücke im Verständnis darüber, wie viel Kohlenstoff vom Land tatsächlich in den Arktischen Ozean gelangt, wie dieser dort verteilt ist und welche Veränderungen er im Ozean durchläuft. „Im Zuge der zunehmenden Erwärmung der Arktis werden immer mehr terrestrische organische Stoffe ihren Weg in den Arktischen Ozean finden, was den Kohlenstoffkreislauf und weitere biogeochemische Prozesse verändern könnte“, sagt Xianyu Kong. Bisherige Klimamodelle bilden diese Erkenntnisse noch nicht ab. „Unsere Ergebnisse sind eine wichtige Grundlage für zukünftige Vorhersagen, wie sich terrestrische Einträge auf die marinen Ökosysteme der Arktis und ihre Rolle bei der globalen Kohlenstoffspeicherung und dem CO₂-Austausch auswirken könnten.“

FT-ICR MS quantifiziert organische Stoffe in MOSAiC-Proben

Für diese Studie entwickelten die Forschenden über mehrere Jahre in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) einen neuartigen analytischen Ansatz. Sie untersuchten damit Meerwasserproben, die während der MOSAiC-Expedition 2019/2020 gesammelt wurden. Zur Messung der organischen Verbindungen in diesen Proben nutzten sie die ultrahochauflösende Fourier-Transformation-Massenspektrometrie (FT-ICR MS). „Dank dieser Methode konnten wir die Elementarzusammensetzung von Tausenden organischen Molekülen im Meerwasser identifizieren und quantifizieren. Damit konnten wir unterscheiden, ob sie aus dem Ozean, dem Meereseis oder aus terrestrischen Quellen stammen“, erklärt Xianyu Kong. „Wir konnten nicht nur die Konzentration des terrestrischen Kohlenstoffs quantifizieren, sondern auch abschätzen, wie weit der Abbau des organischen Materials bereits fortgeschritten ist.“ Mithilfe dieser Methode konnten die Forschenden zudem die erste tiefenaufgelöste Karte des gelösten terrestrischen organischen Kohlenstoffs im Arktischen Ozean erstellen.

Quelle

Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (11/2025)

Publikation

Kong, X., Lechtenfeld, O.J., Kaesler, J.M. et al. Major terrestrial contribution to the dissolved organic carbon budget in the Arctic Ocean. Nat. Geosci. (2025). https://doi.org/10.1038/s41561-025-01847-5

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