Ionenrecycling zur Erforschung der schwersten Elemente

12. November 2025

Um die chemischen Eigenschaften und die Reaktionsfähigkeit der seltensten und am wenigsten erforschten Elemente – insbesondere der superschweren Elemente am Ende des Periodensystems – besser zu verstehen, wurde an der ISOLDE-Anlage des CERN eine neuartige Methode entwickelt. Die Greifswalder Doktorandin Dr. Franziska Maier war maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt.

Während die Elektronenstrukturen vieler bekannter Elemente gut verstanden sind, stellt jede Messung bei superschweren Elementen eine große Herausforderung dar. Die im Rahmen einer neuen Studie demonstrierte Methode verspricht enorme Fortschritte bei der Entschlüsselung dieser komplexen Chemie. Darüber hinaus sehen die Forschenden potenzielle Anwendungen in der Grundlagenforschung sowie in der Entwicklung von chemischen Verbindungen für die Krebsbehandlung.

Methode auf Basis einer Ionenfalle entwickelt

Da superschwere Elemente äußerst instabil sind und nur in winzigen Mengen in Teilchenbeschleunigern erzeugt werden können, erprobt das ISOLDE-Team neue Verfahren zunächst an stabilen Elementen. Die Forschenden entwickelten eine neuartige Ionfallen-Methode, um die Elektronenaffinität von Atomen und Molekülen präzise zu messen. Die Elektronenaffinität ist die Energie, die freigesetzt wird, wenn man einem neutralen Atom ein Elektron hinzufügt. Sie ist eine grundlegende Eigenschaft, die die chemische Bindungsfähigkeit bestimmt.

Die herkömmliche Messung mittels Laserstrahlung ist für instabile Elemente, die nur sehr selten erzeugt werden, nicht geeignet, da ein einmaliger Durchlauf nicht ausreicht. Die neue, an stabilen Chloratomen demonstrierte CERN-Methode ist jedoch hunderttausendmal empfindlicher und ermöglicht Messungen mit extrem geringen Atommengen. Dies eröffnet die Möglichkeit, die Elektronenaffinität endlich auch bei den superscheren Elementen präzise zu bestimmen.

Neue Methode garantiert hohe Messgenauigkeit trotz weniger Anionen

„Trotz der Verwendung von hunderttausendmal weniger Chlor-Anionen erreicht unsere neuartige MIRACLS-Methode die gleiche Messgenauigkeit wie herkömmliche Verfahren, bei denen die Anionen den Laserstrahl nur einmal passieren. Die Verbesserung beruht auf den etwa sechzigtausend Durchgängen derselben Ionen“, erklärt Dr. Franziska Maier, Hauptautorin der Studie. „Unsere Methode nutzt die Spiegel der Falle, um die Anionen zu ‚recyceln‘, und eröffnet so einen Weg zu Messungen der Elektronenaffinität bei superschweren Elementen.“

Wie Prof. Dr. Lutz Schweikhard ergänzt, könnten mit zunehmender Protonenzahl aufgrund relativistischer Effekte im Bereich der superschweren Elemente die Grenzen zwischen den Elementgruppen im Periodensystem verblassen. „Über die Elektronenaffinitäten sollen diese Effekte mit der neuen Messmethode untersucht werden.“

Langjährige Erfahrung in der Konstruktion und Anwendung elektrostatischer Ionenstrahlfallen

Die Greifswalder Arbeitsgruppe verfügt über langjährige Erfahrung in der Konstruktion und Anwendung elektrostatischer Ionenstrahlfallen. „Schon vor über zehn Jahren wurde ein auf diesem Prinzip beruhendes Flugzeitmassenspektrometer in Greifswald gebaut und danach zum CERN gebracht. Bis heute wird es dort für die hochpräzise Bestimmung der Massen exotischer Atomkerne genutzt“, berichtet Prof. Schweikhard. „In Greifswald wird ein weiteres solches Gerät zur Untersuchung von atomaren Clustern eingesetzt.“ Die für die neuen CERN-Experimente genutzte Ionenfalle wurde ursprünglich in Greifswald entwickelt. Sie wurde dann vom internationalen MIRACLS-Team unter der Leitung von Dr. Stephan Malbrunot-Ettenauer am CERN speziell für die Elektronenaffinitätsmessungen weiterentwickelt und mit den notwendigen Lasersystemen ergänzt.

Potenzielle Bedeutung für die Entwicklung neuer Krebstherapien

Die MIRACLS-Methode ist nicht nur für die Messung der Elektronenaffinitäten superscherer Elemente relevant, sondern hat auch Anwendungen bei seltenen Elementen auf der Erde, wie etwa Actinium, das ein vielversprechender Kandidat für die Krebsbehandlung ist. Darüber hinaus kann das Verfahren zur Bestimmung der Elektronenaffinitäten von Molekülen genutzt werden, was theoretische Berechnungen der elektronischen Struktur unterstützt. Solche Berechnungen sind wiederum wichtig für die Forschung an Antimaterie und radioaktiven Molekülen, die zur Untersuchung der fundamentalen Symmetrien der Natur dienen.

Quelle

Universität Greifswald (11/2025)

Publikation

Maier, F.M., Leistenschneider, E., Au, M. et al. Enhanced sensitivity for electron affinity measurements of rare elements. Nat Commun 16, 9576 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-64581-x

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