Menschliche Plazenta von uralter viraler DNA geprägt

10. November 2025

Ein internationales Forschungsteam, darunter Forschende des Max Delbrück Center und der University of Bath, hat herausgefunden, dass alte virale DNA einen möglichen Hinweis zur Früherkennung des Präeklampsie-Risikos bei Müttern liefern könnte.

Das menschliche Genom enthält zahlreiche DNA-Fragmente alter Viren, die sich im Laufe der Evolution eingeschleust haben. Obwohl die meisten inaktiv sind, haben einige funktionale Rollen übernommen, insbesondere in sich schnell entwickelnden Organen wie der Plazenta.

Das Team zeigte, wie einige dieser viralen DNA-Fragmente Gene regulieren, welche die Entwicklung und Funktion der Plazenta steuern. Wird insbesondere das Gen EPS8L1 überaktiv, löst es wichtige Merkmale der Präeklampsie aus – einer potenziell lebensbedrohlichen Schwangerschaftskomplikation. Die Analyse dieser alten viralen DNA könnte somit einen Weg zur früheren Erkennung der Erkrankung eröffnen.

Präeklampsie: Eine schwer zu verstehende Gefahr

„Die Erkenntnisse verbinden einen tiefgreifenden Evolutionsprozess mit einem sehr modernen klinischen Problem und weisen auf einen potenziellen Biomarker hin, mit dem das Risiko einer Präeklampsie erkannt werden kann, bevor Symptome auftreten“, sagt Professorin Zsuzsanna Izsvák.

Präeklampsie betrifft etwa fünf Prozent aller Schwangeren und stellt ein ernstes Risiko für Mutter und Kind dar, wobei in schweren Fällen eine Frühgeburt notwendig wird. Obwohl die Erkrankung nicht heilbar ist, ist ihre genaue Ursache nach wie vor unklar, was hauptsächlich an der Schwierigkeit ihrer Untersuchung liegt.

KI liest in der DNA

Von den dysregulierten Genen rückte besonders das bisher wenig erforschte Gen EPS8L1 in den Fokus von Dr. Rabia Anwar, Co-Erstautorin der Studie (mittlerweile am University Health Network, Toronto). Dieses Gen wird in Trophoblasten exprimiert, den Zellen, die früh in der Schwangerschaft die äußere Schicht der Blastozyste bilden und sich zur Plazenta entwickeln.

Anwars Experimente mit Plazenta-Zellkulturen zeigten, dass eine Überexpression von EPS8L1 Anzeichen einer Präeklampsie auslöste: Dazu gehörten eine verminderte Einnistung der Trophoblasten (Invasion), veränderte Blutgefäßbildung, oxidativer Stress und Gewebeschäden. Die vollständige Ausschaltung des Gens führte jedoch zum Zelltod, was belegt, dass EPS8L1 für die normale Plazentafunktion essenziell ist.

EPS8L1 als potenzieller Biomarker

Das Forschungsteam machte zudem eine wichtige Entdeckung: Eine sezernierte Form des EPS8L1-Proteins konnte im mütterlichen Blut nachgewiesen werden. Dort korrelierte seine Konzentration mit bereits etablierten Biomarkern für Präeklampsie. Dies deutet darauf hin, dass EPS8L1 möglicherweise als Teil von Blutscreening-Panels zur Früherkennung der Präeklampsie dienen könnte, lange bevor gefährliche Symptome auftreten. Bemerkenswert ist dabei die konsistente Beobachtung, dass das EPS8L1-Gen in sämtlichen untersuchten Gewebekohorten von Patientinnen mit Präeklampsie hochreguliert war.

„Das ist spannend, denn man möchte ja, dass ein Biomarker in einer Vielzahl von ethnischen Gruppen vorhanden ist, damit er so nützlich wie möglich ist“, sagt Anwar. „Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass das Gen nicht mit anderen Schwangerschaftskomplikationen assoziiert ist – was ein weiterer Hinweis darauf ist, dass es speziell bei Präeklampsie sehr gut funktionieren könnte.“ Um zu bestätigen, dass das EPS8L1-Protein als Biomarker zum Nachweis eines erhöhten Präeklampsie-Risikos im ersten Schwangerschaftstrimester verwendet werden kann, ist eine größere klinische Studie erforderlich.

Vor 100 Millionen Jahren

Über die medizinische Relevanz hinaus beleuchtet die aktuelle Studie, wie uralte Viren die menschliche Biologie weiterhin prägen. Die im Fokus stehende virale DNA kam bereits vor über 100 Millionen Jahren mit Primaten in Kontakt, bevor sich diese im Stammbaum von den Nagetieren abspalteten. Die Forschung konnte dies bestätigen, da die virale DNA in einem gemeinsamen Säugetiervorfahren von Primaten und Nagetieren nachweisbar ist.

„Das erinnert uns daran, dass wir noch viel über unser Genom lernen können und dass uralte Infektionen beeinflussen können, wer wir heute sind“, sagt der Evolutionsgenetiker Professor Laurence Hurst von der University of Bath, der maßgeblich an der Studie beteiligt war und neben Izsvák ein weiterer korresporrendierender Autor ist.

Das Deep-Learning-Tool „A100 Beast“ ist auf der Plattform Hugging Face Spaces frei zugänglich und ermöglicht es anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, virale und nicht-virale Enhancer über verschiedene Arten hinweg zu erforschen.

Quelle

Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (11/2025)

Publikation

Rabia Anwar, Amit Pande, Manvendra Singh, et al. (2025): „ERV3-MLT1 provides cis-regulatory elements for human placental functioning and are commonly dysregulated in human-specific pre-eclampsia”. Genome Biology 26, 364. DOI: 10.1186/s13059-025-03821-1
https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-025-03821-1

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