Neues Foundation-Modell zeigt Organisation von Zellen im Gewebe

6. November 2025

Forschende von Helmholtz Munich und der Technischen Universität München (TUM) haben Nicheformer entwickelt, das erste groß angelegte Foundation-Modell, das Einzelzellanalysen mit räumlicher Transkriptomik verbindet. Trainiert mit über 110 Millionen Zellen, eröffnet dieses Modell einen neuen Ansatz zur Untersuchung der Organisation und Interaktion von Zellen im Gewebe – ein Wissen, das für das Verständnis von Gesundheit und Krankheit von entscheidender Bedeutung ist.

Fehlender Kontext in Einzelzelldaten

Die Einzelzell-RNA-Sequenzierung hat zwar die Biologie revolutioniert, indem sie die Genaktivität in einzelnen Zellen zeigt, doch der Prozess entfernt Zellen aus ihrer Umgebung, wodurch Informationen über ihre Position und Nachbarzellen verloren gehen. Die räumliche Transkriptomik bewahrt diesen Kontext, ist aber schwerer skalierbar. Forschenden fehlte lange eine Methode, um Zellidentität und Gewebeorganisation gleichzeitig zu analysieren.

KI-Modell macht verborgene Gewebestrukturen sichtbar

Nicheformer überwindet bisherige Grenzen, indem es sowohl aus isolierten als auch aus räumlichen Daten lernt. Das Modell kann räumliche Informationen auf zuvor isoliert untersuchte Zellen übertragen und so rekonstruieren, wie sie in das Gewebe eingebunden sind. Um dies zu ermöglichen, entwickelte das Team „SpatialCorpus-110M“, eine der größten kuratierten Sammlungen von Einzelzell- und räumlichen Daten.

In der Studie übertraf Nicheformer bestehende Methoden und zeigte, dass räumliche Muster Spuren in der Genexpression selbst dissoziierter Zellen hinterlassen. Zudem untersuchten die Forschenden die Interpretierbarkeit des Modells und bewiesen, dass es biologisch relevante Muster in seinen internen Schichten erkennt. Dieser Ansatz liefert neue Einblicke darin, wie Künstliche Intelligenz (KI) biologische Daten verarbeitet.

„Mit Nicheformer können wir nun räumliche Informationen großflächig auf dissoziierte Einzelzelldaten übertragen“, erklärt Alejandro Tejada-Lapuerta. „Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten, Gewebeorganisation und zelluläre Umgebung zu erforschen, ohne zusätzliche Experimente durchführen zu müssen.“

Nicheformer und das Konzept der „Virtuellen Zelle“

Die Studie knüpft an das aufstrebende Konzept der „Virtuellen Zelle“ an, einer computerbasierten Darstellung des Verhaltens und der Interaktion von Zellen in ihrem natürlichen Umfeld. Während frühere KI-Modelle Zellen meist als isolierte Einheiten betrachteten, ist Nicheformer das erste Foundation-Modell, das direkt aus der räumlichen Organisation lernt. Es macht somit nachvollziehbar, wie Zellen ihre Umgebung wahrnehmen und beeinflussen. Darüber hinaus präsentieren die Forschenden eine umfassende Reihe räumlicher Benchmarking-Aufgaben. Diese sollen künftige Modelle anregen, Gewebe-Architektur und kollektives Zellverhalten präzise abzubilden – ein entscheidender Schritt hin zu biologisch realistischen KI-Systemen.

Nächste Schritte

„Mit Nicheformer machen wir die ersten Schritte hin zur Entwicklung von universell einsetzbaren KI-Modellen, die Zellen in ihrem natürlichen Kontext abbilden – der Grundlage für virtuelle Zell- und Gewebemodelle“, sagt Prof. Fabian Theis. „Solche Modelle könnten die Erforschung von Gesundheit und Krankheit grundlegend verändern und langfristig die Entwicklung neuer Therapien unterstützen.“

In einem nächsten Schritt plant das Team die Entwicklung eines „Gewebe-Foundation-Modells“ (Tissue Foundation Model), das zusätzlich die physischen Beziehungen zwischen Zellen berücksichtigt. Ein solches Modell könnte helfen, Tumor-Mikroumgebungen und andere komplexe Strukturen im Körper zu analysieren . Dies hätte direkte Relevanz für die Forschung an Krankheiten wie Krebs, Diabetes und chronischen Entzündungen.

Quelle

Helmholtz Munich (10/2025)

Publikation

Tejada-Lapuerta et al., 2025: Nicheformer: a foundation model for single-cell and spatial omics. Nature Methods. DOI: 10.1038/s41592-025-02814-z.
https://www.nature.com/articles/s41592-025-02814-z

Info: Einzelzellanalyse vs. räumliche Transkriptomik

Einzelzellanalyse: Erfasst das molekulare Profil (z. B. Genaktivität) einzelner Zellen, die jedoch außerhalb ihres ursprünglichen Gewebekontexts untersucht werden.

Räumliche Transkriptomik: Erfasst die Genaktivität direkt in Gewebeschnitten und bewahrt dabei die räumliche Anordnung der Zellen.

Nicheformer: Kombiniert beide Ansätze und überträgt den räumlichen Kontext zurück auf dissoziierte Einzelzelldaten.

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