Das „Wolkenimpfen“ ist ein Verfahren, bei dem Wolken gezielt dazu gebracht werden, Regen oder Schnee abzugeben, um beispielsweise Hagelschäden zu verhindern oder Dürren zu mildern. Üblicherweise werden dazu kleine Silberiodid-Partikel mit Flugzeugen in die Wolken gesprüht. Diese Partikel dienen als Keime, an denen sich Wassermoleküle anlagern und so kleine Schneeflocken bilden, die zu Boden fallen.
Forschenden der TU Wien ist es nun erstmals gelungen, diesen Prozess auf atomarer Ebene zu erklären. Mittels hochauflösender Mikroskopie und Computersimulationen untersuchten sie die Wechselwirkung von Silberiodid mit Wasser. Die Ergebnisse zeigen, dass Silberiodid zwei sehr unterschiedliche Oberflächen ausbildet, aber nur eine davon die Eisbildung begünstigt. Diese Entdeckung vertieft das Verständnis der Niederschlagserzeugung und könnte die gezielte Entwicklung neuer Materialien für das Wolkenimpfen ermöglichen.
Die Oberflächenstruktur ist der Schlüssel zur Eisbildung
„Silberiodid bildet hexagonale Strukturen mit derselben sechskantigen Symmetrie, die man auch von Schneeflocken kennt“, erklärt Jan Balajka. „Auch die Abstände zwischen den Atomen ähneln jenen in Eiskristallen. Lange Zeit nahm man an, dass diese Ähnlichkeit der Struktur erklärt, warum Silberiodid ein so effizienter Kristallisationskeim für Eis ist. Eine genauere Untersuchung zeigt jedoch, dass der Mechanismus weitaus komplexer ist.“
Die atomare Struktur der Oberfläche, an der die Eisbildung beginnt, ist anders als die des Kristallinneren. Bricht man einen Silberiodid-Kristall auseinander, zeigen sich an den entstehenden Oberflächen deutliche Unterschiede. Die eine Seite besteht aus reinen Silberatomen, während die andere aus Jodatomen besteht. „Wir haben herausgefunden, dass sich beide Oberflächen umordnen, allerdings auf völlig unterschiedliche Weise“, sagt Johanna Hütner. Die Silber-Oberfläche behält eine hexagonale Anordnung bei, welche die ideale Vorlage für das Wachstum einer Eisschicht darstellt. Im Gegensatz dazu bildet die Jod-Oberfläche eine rechteckige Struktur aus, deren Geometrie nicht zur sechskantigen Symmetrie der Eiskristalle passt und somit die Eisbildung weniger begünstigt.
„Nur die Silber-terminierte Oberfläche trägt zur Keimbildung bei“, erklärt Balajka. „Die Fähigkeit von Silberiodid, in Wolken Eisbildung auszulösen, lässt sich also nicht allein durch die Struktur im Inneren des Kristalls erklären. Entscheidend ist die atomare Anordnung an der Oberfläche – ein Effekt, der bislang völlig übersehen wurde.“
Eisbildung enthüllt durch Experimente und Simulationen
Das Team untersuchte diese Effekte mittels zwei komplementären Ansätzen. Zunächst führten sie Experimente unter Ultrahochvakuum und bei sehr tiefen Temperaturen durch. Dabei dampften sie Wasser auf kleine Silberiodid-Kristalle auf und analysierten die entstehenden Strukturen anschließend mit hochauflösender Rasterkraftmikroskopie.
„Eine der größten Herausforderungen war, dass alle Experimente in völliger Dunkelheit stattfinden mussten“, erklärt Johanna Hütner. „Silberiodid ist extrem lichtempfindlich, weshalb es früher in Fotoplatten und -filmen eingesetzt wurde. Wir haben nur gelegentlich rotes Licht verwendet, wenn es für die Handhabung der Proben in der Vakuumkammer notwendig war.“
Theoretische Simulationen
Parallel zu den Experimenten simulierte das Team die Oberflächen und die darauf entstehenden Wasserstrukturen mithilfe der Dichtefunktionaltheorie (DFT) . Dabei handelt es sich um eine spezielle quantenmechanische Methode zur Beschreibung atomarer Wechselwirkungen. Andrea Conti, der die Berechnungen durchführte, erklärt, dass sie mit diesen Simulationen berechnen konnten, welche Anordnungen von Atomen energetisch am günstigsten sind. „Durch die genaue Modellierung der Grenzfläche zwischen Silberiodid und Wasser konnten wir beobachten, wie sich die ersten Wassermoleküle auf der Oberfläche anordnen, um eine Eisschicht zu bilden.“
„Eigentlich ist es erstaunlich, dass man sich so lange mit einer eher vagen, phänomenologischen Erklärung für die Nukleationseffekte von Silberiodid zufriedengegeben hat“, sagt Ulrike Diebold. „Eiskeimbildung ist ein Phänomen von zentraler Bedeutung für die Atmosphärenphysik und ein Verständnis auf atomarer Ebene ist essentiell, um herauszufinden, ob andere Materialien als effektive Keimbildner geeignet sein könnten.“
Quelle
Technische Universität Wien (10/2025)
Publikation
J. Hütner et al., Surface reconstructions govern ice nucleation on silver Iodide, Science Advances (2025).
https://doi.org/10.1126/sciadv.aea2378