Neandertaler-DNA enthüllt alte Wanderbewegungen

31. Oktober 2025

Einem Forschungsteam unter der Leitung der Universität Wien gelang es, alte DNA aus einem winzigen, nur fünf Zentimeter langen Neandertaler-Knochen zu extrahieren. Dieser Knochen wurde auf der Krim-Halbinsel gefunden. Er liefert wichtige Aufschlüsse über Fernwanderungen während des späten Pleistozäns, also vor 40.000 bis 50.000 Jahren. Der Neandertaler-Knochen wurde mithilfe einer biomolekularen Methode identifiziert. Dabei bestimmen Forschende anhand alter Proteine, ob ein Knochen von einem Menschen oder einem Tier stammt. Die aus dem Fundstück extrahierte alte DNA zeigte eine überraschende Nähe: Der Neandertaler war genetisch am engsten mit Populationen aus der Altai-Region in Sibirien verwandt. Diese Region ist über 3.000 Kilometer von der Krim entfernt.

Eine Stätte mit langer Geschichte

Die Felshöhle von Starosele auf der Krimhalbinsel wird bereits seit 1952 erforscht. Bisher wurden an dieser Stätte lediglich menschliche Überreste aus der Zeit nach dem Mittelalter gefunden. Nun nutzten Forscher der Universität Wien neue molekulare Methoden. Damit untersuchten sie über 150 nicht identifizierte Knochenfragmente aus dieser Fundstätte. Unter diesen Fragmenten entdeckten sie das erwähnte kleine, fünf Zentimeter große Fragment. Es handelte sich wahrscheinlich um einen Teil eines menschlichen Oberschenkelknochens.

Mit neuen Techniken in die Vergangenheit blicken

Die Hauptautorin Emily M. Pigott setzte die paläoproteomische Methode „Zooarchäologie mittels Massenspektrometrie“ (ZooMS) ein. Damit sollte die Artzugehörigkeit der 150 fragmentierten Knochen bestimmt werden. Diese Knochen waren aufgrund ihrer geringen Größe morphologisch nicht identifizierbar. Durch die Extraktion von Kollagenpeptiden und die Analyse ihrer Masse ist es jedoch möglich, selbst winzige Fragmente auf Arten- oder Gattungsebene zuzuordnen.

Untersuchungsergebnisse und Datierung

Von den 150 analysierten Knochenfragmenten stammten 93 % von Pferden und Hirschen. Es wurden auch einige Überreste von Mammuts und Wölfen gefunden. Dies deutet darauf hin, dass die Menschen der Altsteinzeit auf der Krim stark von der Pferdejagd abhängig waren. Ein besonders wichtiger Fund war ein kleines Fragment, das als menschlich identifiziert wurde. Es war nur 49,8 Millimeter lang und 18,8 Millimeter breit. Eine anschließende Mikro-CT-Bildgebung bestätigte, dass es sich wahrscheinlich um einen Oberschenkelknochen handelte. Der Knochen wurde mithilfe modernster Dekontaminationsmethoden radiokarbonisch datiert. Das Alter liegt zwischen 46.000 und 44.000 Jahren, womit der Fund eindeutig der Altsteinzeit zuzuordnen ist.

„Das war eine äußerst spannende Entdeckung, zumal man bisher davon ausgegangen war, dass es sich bei den menschlichen Überresten in Starosele um einen modernen Menschen aus viel späteren Epochen handelte“, so Pigott. „Als die Radiokarbondaten vorlagen, wussten wir, dass wir einen viel älteren Menschen aus der Altsteinzeit gefunden hatten – das war ein unvergesslicher Moment. In ganz Eurasien sind nur sehr wenige menschliche Fossilien aus dieser entscheidenden Zeit bekannt, in der die Neandertaler verschwanden und vom Homo sapiens abgelöst wurden, und noch weniger mit genetischen Informationen.“

Einblick in die Mobilität der Neandertaler

Diese Entdeckung unterstreicht die Mobilität und Widerstandsfähigkeit der Neandertaler. Sie belegt, dass diese Menschenart weiter verbreitet war, als bisher angenommen. Die Co-Autorinnen Konstantina Cheshmedzhieva und Martin Kuhlwilm von der Universität Wien übernahmen die genetische Analyse. Sie ordneten den menschlichen Knochen einem Neandertaler zu, den das Team „Star 1“ nannte. Überraschend war, dass dieses Individuum am engsten mit Neandertalern aus der 3.000 Kilometer weiter östlich liegenden sibirischen Altai-Region verwandt war. Es gab jedoch auch eine Verwandtschaft mit Neandertalern, die einst in europäischen Regionen wie Kroatien lebten.

Die Ergebnisse bestätigen frühere Studien. Diese deuteten bereits darauf hin, dass sich Neandertaler in der späten Eiszeit über weite Strecken in Eurasien ausgebreitet haben. Die Wanderung reichte von Mitteleuropa im Westen bis nach Zentraleurasien. Durch diese Arbeit wird die Krim-Halbinsel an einem Kreuzungspunkt dieses Migrationskorridors der Neandertaler verortet.

„Unsere Arbeit zeigt, dass durch die Kombination von Techniken wie ZooMS, Radiokarbondatierung und Analyse alter DNA selbst kleinste Knochenfragmente tiefgreifende Informationen über unsere evolutionäre Vergangenheit liefern können“, fasst der Senior Autor Tom Higham zusammen. „Diese Art der multianalytischen Arbeit auf andere Sammlungen anzuwenden, wird uns helfen, weitere verborgene menschliche Überreste aufzudecken und die komplexe Geschichte der menschlichen Evolution in Eurasien besser zu erforschen. Unser Verständnis der Neandertaler hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Unsere neue Studie bestätigt, dass sie weite Strecken in verschiedenen Richtungen zurücklegen konnten, etwas, von dem wir jahrzehntelang dachten, dass es fast ausschließlich unserer Spezies vorbehalten sei.“

Quelle

Universität Wien (10/2025)

Publikation

Emily Pigott, Konstantina Cheshmedzhieva, Elke Zeller, Laura G. van der Sluis, Manasij Pal Chowdhury, Maddalena Gianni, Emese Végh, Thorsten Uthmeier, Victor Chabai, Marylène Patou-Mathis, Petra G. Šimková, Jana N. Voglmayr, Gerhard W. Weber, Ron Pinhasi, Axel Timmermann, Martin Kuhlwilm, Katerina Douka and Thomas Higham: A new late Neanderthal from Crimea reveals long-distance connections across Eurasia. 2025. In PNAS.
DOI: 10.1073/pnas.2518974122
https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2518974122

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