Ein innerer Kompass für Meereslebewesen im Paläozän

23. Oktober 2025

Vor Jahrmillionen produzierten unbekannte Meeresorganismen mysteriöse, ungewöhnlich große Magnetitpartikel. Diese sogenannten „Riesenmagnetfossilien“, die heute in Meeressedimenten zu finden sind, sind etwa 10- bis 20-mal größer als herkömmliche Magnetofossilien, die magnetotaktische Bakterien zur passiven Orientierung im Erdmagnetfeld bilden.

Die riesigen Magnetofossilien zeigen eine große Formenvielfalt, wie Nadeln, Spindeln, Kugeln und Speerspitzen. Bisher ist unbekannt, welche Organismen sie bildeten und welchem Zweck sie dienten. Aufgrund ihrer Größe hielt man sie lange für ungeeignet zur reinen magnetischen Ausrichtung, obwohl einige Formen den herkömmlichen Magnetfossilien ähneln. Daher wurde teils spekuliert, dass einige Organismen die harten Magnetitpartikel vorrangig als Schutzschild gegen Raubtiere nutzten und die magnetischen Eigenschaften dabei keine wichtige Rolle spielten – eine Hypothese, die nicht alle Forschenden teilen.

Nun gelang es jedoch einem internationalen Team, die magnetischen Domänen auf einem dieser Riesenmagnetfossilien mithilfe einer raffinierten Methode an der Diamond-Röntgenquelle zu kartieren. Ihre Analyse deutet darauf hin, dass die Partikel den Organismen ermöglicht haben könnten, winzige Schwankungen in der Richtung und Intensität des Erdmagnetfelds wahrzunehmen. Dadurch hätten sie sich verorten und über den Ozean navigieren können. Die neue Kartierungsmethode eröffnet zudem die Möglichkeit, zu prüfen, ob bestimmte Eisenoxidpartikel in Marsproben tatsächlich biogenen Ursprungs sind.

Ein Kompass für Meereslebewesen?

Der HZB-Physiker Sergio Valencia und der Paläomagnetismusforscher Richard J. Harrison von der Universität Cambridge, Großbritannien, untersuchten eine alternative Hypothese zu den Riesenmagnetfossilien. Sie vermuteten, dass die Organismen die magnetischen Eigenschaften dieser Partikel aktiv zur Orientierung nutzten, indem sie geringfügige Schwankungen in der Intensität und Richtung des Erdmagnetfelds wahrnahmen. Um diese Annahme zu überprüfen, war es notwendig, die dreidimensionale magnetische Struktur der Fossilien präzise zu kartieren. Dies erlaubte es ihnen, sowohl die magnetische Energie als auch die damit verbundenen Kräfte, die im lokalen Erdmagnetfeld auf das Partikel wirkten, genau abzuschätzen.

Zerstörungsfreie Untersuchung

Für ihre Untersuchung wählten Harrison und Valencia ein speerspitzenförmiges Partikel aus, das 1,1 µm im Durchmesser und 2,25 µm in der Länge maß. Dieses Fossil stammte aus der Sammlung von Liao Chang (Universität Peking) und wurde in einem rund 56 Millionen Jahre alten Sediment des Nordatlantiks entdeckt. Die größte Schwierigkeit lag in der Analyse der inneren magnetischen Struktur dieser vergleichsweise dicken Probe, da ein Zerschneiden die ursprüngliche magnetische Domänenstruktur zerstört hätte. Dieses Problem lösten die Forscher erfolgreich an der Diamond-Röntgenquelle in Oxford, Großbritannien, mithilfe einer neu entwickelten Technik.

Diese als „Pre-edge Phase X-ray Magnetic Circular Dichroism (XMCD) Ptychographie“ bezeichnete Methode, entwickelt von Claire Donnelly am Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe (MPI CPfS) in Dresden, ermöglichte es ihnen, die magnetische Domänenstruktur im gesamten Volumen der Probe zerstörungsfrei sichtbar zu machen. „Dies war eine wirklich internationale Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten aus ganz verschiedenen Bereichen. Zusammen haben wir es geschafft, die mögliche Funktion dieser Magnetfossilien aufzuklären“, sagt Sergio Valencia, der die Zusammenarbeit initiiert und koordiniert hat.

Magnetischer Wirbel entdeckt

Es gelang dabei, das gesamte Probenvolumen dreidimensional und mit hoher Auflösung abzubilden. „Mit Hilfe der magnetischen Vektortomographie konnten alle drei Komponenten der Magnetisierung rekonstruiert und im gesamten Volumen der Probe mit einer Auflösung von wenigen 10 Nanometern räumlich aufgelöst werden“, sagt Valencia und betont: „Wenn wir die neue Nachfolgequelle BESSY III in Betrieb genommen haben, könnten wir solche Messungen auch in Berlin durchführen.“

Die Analyse ergab, dass das untersuchte Magnetitpartikel einen magnetischen Wirbel aufweist, welcher stark auf räumliche Schwankungen des Erdmagnetfeldes reagiert. Dies legt nahe, dass ein Organismus dieses Partikel nutzen konnte, um die Intensität des Erdmagnetfeldes wahrzunehmen und entsprechend darauf zu reagieren.

„Meeresorganismen, zum Beispiel Fische, haben diese Eigenschaft möglicherweise für die magnetische Navigation genutzt“, sagt Harrison. Auch wenn sich die hier untersuchten Partikel ursprünglich als Schutzpanzer entwickelt haben könnten, wäre es durchaus möglich, dass ihre Nachkommen im Laufe der Evolution diese Partikel auch als Navigationsinstrument genutzt haben.

Die Navigation im Erdmagnetfeld ist ein Phänomen, das heute bei einer Vielzahl von Tieren, einschließlich Weichtieren, Amphibien, Fischen, Reptilien, Vögeln und Säugetieren, weit verbreitet ist. Möglicherweise fand diese Fähigkeit ihren Ursprung bereits vor langer Zeit, da riesige Magnetfossilien in Sedimenten gefunden wurden, die bis zu 97 Millionen Jahre alt sind.

Ausblick: Partikel vom Mars

„Auf dem Marsmeteoriten ALH84001 entdeckte man Eisenoxidpartikel, die denen ähneln, die manche Bakterien auf der Erde bilden. Die biologische Herkunft der Mars-Eisenoxidpartikel ist allerdings stark umstritten. Nun verfügen wir über eine Methode, um alle neu gefundenen potenziellen Magnetfossilien zu untersuchen und Beweise für oder gegen ihren biologischen Ursprung zu liefern“, sagt Richard Harrison. „Es wäre sehr spannend, diese experimentelle Technik zur Bewertung der morphologischen und magnetischen Fingerabdrücke dieser Eisenoxidpartikel einzusetzen. Dies könnte bei der Suche nach Spuren früheren Lebens helfen“, sagt Valencia.

Quelle

Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (10/2025)

Publikation

Magnetic vector tomography reveals giant magnetofossils are optimised for magnetointensity reception
Richard J Harrison, Jeffrey Neethirajan, Zhaowen Pei, Pengfei Xue, Lourdes Marcano, Radu Abrudan, Emilie Ringe, Po-Yen Tung, Venkata SC Kuppili, Burkhard Kaulich, Benedikt J Daurer, Luis Carlos Colocho Hurtarte, Majid Kazemian, Liao Chang, Claire Donnelly, and Sergio Valencia.
DOI: 10.1038/s43247-025-02721-3
https://doi.org/10.1038/s43247-025-02721-3

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