Den Auswirkungen von Mutationen auf der Spur

21. Oktober 2025

Mikroorganismen sind Anpassungskünstler, bei denen schon kleinste Genvariationen Resistenzen gegen medizinische Wirkstoffe ermöglichen können. Die Genome aller Organismen enthalten Mutationen, deren biologische Effekte oft unbekannt sind. Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin in Kooperation mit der Stanford University (USA) haben nun eine Methode entwickelt, um die Auswirkungen zahlreicher Mutationen an einem Hefepilz vorherzusagen. Der Schlüssel dazu war eine detaillierte Proteom-Analyse (Gesamtheit der Proteine einer Zelle). Das Forschungsteam erachtet die neue Methode als wichtiges Werkzeug, um molekularbiologische Zusammenhänge – insbesondere im Kontext zunehmender Resistenzen – besser zu verstehen.

„Um das Risiko besser abschätzen zu können, ob ein Erreger resistent wird, oder auch um neuartige verbesserte Wirkstoffe zu entwickeln, müssen wir die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Genvarianten und den daraus resultierenden biologischen Veränderungen besser verstehen lernen“, sagt Prof. Markus Ralser. „Da sich die Genomsequenzierung rasant weiterentwickelt hat, können wir genetische Unterschiede heute sehr gut identifizieren. Allerdings wissen wir dabei nicht, wie diese sich etwa auf Wachstum oder Resistenz einer Mikrobe auswirken und unter welchen Bedingungen sie von Bedeutung sind.“

Blick in die molekulare Blackbox

Um die Auswirkungen verschiedener Genvarianten zu entschlüsseln, ist ein Blick auf das Proteom hilfreich. Dieses funktioniert wie ein Räderwerk, das alle zellulären Prozesse steuert und aufrechterhält, wobei die einzelnen Proteine wie Zahnräder ineinandergreifen und sich gegenseitig beeinflussen. „Durch eine bestimmte Variante in einem Gen kann es zum Beispiel passieren, dass ein Protein gar nicht mehr oder in veränderter Form oder Menge produziert wird. Und das kann im Räderwerk der Zelle tatsächlich einiges verändern“, sagt Dr. Johannes Hartl. „Das Proteom und seine durch natürliche genetische Variation bedingte Veränderlichkeit ist in seiner Gesamtheit bislang noch eine molekulare Blackbox. Mit unserer Studie konnten wir zeigen, dass es möglich und notwendig ist, hier mehr Licht ins Dunkel zu bringen.“

Für ihre Untersuchung kreuzten die Forschenden zwei natürlich vorkommende Stämme von Hefezellen, die zu den einzellige Pilze gehören: einen von einem kalifornischen Weingut und einen von einem immunsupprimierten Patienten aus Italien. Diese Kreuzung führten sie über mehrere Generationen durch. „Daraus entstanden dann fast tausend neue Hefestämme, in denen die genetische Ausstattung der Eltern gut durchmischt vorlag“, erklärt Johannes Hartl. Die Kreuzungsversuche und die anschließende genetische Analyse der Hefestämme wurden in Stanford durchgeführt. Das Charité-Team um Markus Ralser analysierte mittels Hochdurchsatz-Massenspektrometrie das Proteom der Stämme. Mit dieser Methode konnten sie die vorhandenen Proteine eindeutig bestimmen und deren Menge in der Zelle präzise quantifizieren.

Proteom gibt molekulare Hintergründe preis

Gemeinsam werteten die Forschenden den riesigen Datensatz aus, um eindeutige Zusammenhänge zwischen den Genvarianten und den resultierenden Änderungen im Proteom zu identifizieren. „Dafür setzten wir die Genom- und Proteom-Daten miteinander ins Verhältnis und erstellten eine Art Karte, die den Effekt tausender genetischer Varianten auf die Menge tausender Proteine in der Zelle wiedergibt“, erklärt Johannes Hartl. „Und um zu prüfen, ob die gefundenen Zusammenhänge tatsächlich von der einen bestimmten Genvariante herrühren und nicht etwa von anderen Prozessen innerhalb der Zelle, fügten wir die Genvariante mittels der Genschere CRISPR/Cas in den ursprünglichen Elternstamm der Hefezellen ein, der diese Genvariante zuvor nicht besaß. Dann schauten wir, ob sich auch hier die entsprechenden Änderungen im Proteom finden lassen.“

Die Forschenden untersuchten bei einigen Genvarianten und den damit verbundenen Proteom-Änderungen deren konkrete Auswirkungen, beispielsweise die Überlebensfähigkeit der Hefezellen unter dem Einfluss eines Antimykotikums. „Das Antimykotikum bindet und inhibiert ein Enzym, das für die Biosynthese eines essenziellen Bestandteils der Hefemembran notwendig ist. Dadurch kann die Zelle nicht weiterwachsen – vorausgesetzt, das Mittel blockiert genügend vorhandene Enzyme“, sagt Johannes Hartl. „In unserer Genom-Proteom-Karte konnten wir nun aber sehen, dass bei bestimmten Genvarianten die Menge dieses Enzyms erhöht war. Im Experiment zeigte sich, dass Hefezellen mit dieser Genvariante resistenter gegen das Antimykotikum wurden.“

Kleine Gen-Veränderungen können bedeutende Auswirkungen haben

Die Studie belegt zudem, dass viele genetische Veränderungen – auch auf den ersten Blick „unscheinbare“ – weitreichende molekulare Folgen haben können. So fanden die Forschenden heraus, dass genetische Varianten, die Hunderte von Proteinen beeinflussen, zwar unter Standardbedingungen unauffällig blieben, jedoch unter veränderten Bedingungen, wie Arzneimittelbehandlung oder geändertem Nahrungsangebot, deutliche Auswirkungen auf das Zellwachstum zeigten.

„Die Genom-Proteom-Kartierung ist ein ganz hervorragendes Werkzeug, um molekularbiologische Zusammenhänge aufzudecken und die Auswirkungen von Mutationen und genetischen Unterschieden zu verstehen“, betont Markus Ralser. „Vielen Funktionen und Interaktionen von Proteinen können wir auf diese Weise nun viel einfacher auf die Spur kommen und so die Entwicklung möglicher Resistenzen gegenüber Wirkstoffen sowie Anpassungen an neue Umgebungen – wie etwa dem Menschen als Wirtsorganismus – besser vorhersagen.“ In nachfolgenden Untersuchungen planen die Forschenden, diesen Ansatz auf pathogene Pilzerreger auszuweiten, die schwere Infektionen beim Menschen verursachen.

Quelle

Charité – Universitätsmedizin Berlin (10/2025)

Publikation

Jakobson CM, Hartl J et al. A genome- to- proteome map reveals how natural variants drive proteome diversity and shape fitness. Science 2025 Oct 09. doi: 10.1126/science.adu3198 https://doi.org/10.1126/science.adu3198

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