Weltweit erste Studie mit Messungen übers ganze Jahr
Das Forschungsteam der RPTU führte von Februar 2021 bis Februar 2022 eine Studie mit monatlicher Probenahme in Rheinland-Pfalz durch. In je drei Feldern des Acker-, Gemüse- und Weinbaus sowie den angrenzenden Wiesen wurden Oberboden- und Vegetationsproben in Abständen von einem, fünf und zwanzig Metern entnommen. Mit moderner Analysetechnik wurden die Proben auf 93 gängige Pestizide untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Pestizide das ganze Jahr über in Böden und Vegetation in niedrigen Konzentrationen vorhanden sind. Im Durchschnitt fanden sich in den Böden zehn Pestizide, wobei in einer Probe bis zu 28 Stoffe nachgewiesen wurden. In der Vegetation konnten ebenfalls Pestizidmischungen nachgewiesen werden, jedoch mit jahreszeitlichen Schwankungen; hier lag der Durchschnitt bei sieben Pestiziden, während Maximalwerte in einzelnen Proben bis zu 25 Stoffe betrugen.„Wir konnten zeigen, dass komplexe Mischungen von Pestiziden in niedrigen Konzentrationen das ganze Jahr über präsent sind. Welche Auswirkungen diese chronische Belastung von Mischungen auf die Umwelt hat, ist weitgehend unerforscht“, betont Umweltwissenschaftlerin Carolina Honert von der RPTU.
Pestizide: Dauerhafte Präsenz in Böden und Vegetation
Chemisch-synthetische Pestizide sind so konzipiert, dass sie gezielt wirken sollen. „Dennoch greifen viele dieser Stoffe grundlegende biologische Prozesse wie die Nervenleitung, Zellteilung oder die Synthese von Proteinen an, wodurch sie wenig spezifisch sind und auch viele so genannte Nicht-Zielarten wie Schmetterlinge oder Regenwürmer schädigen“, erläutert Carsten Brühl, Ökotoxikologe an der RPTU. Diese unspezifische Wirkweise ist der Grund für die bestehende Risikobewertung für die Zulassung von Pestiziden. Allerdings werden im europäischen Zulassungsverfahren die Stoffe einzeln betrachtet und keine Mischungen bewertet. Das ist unzureichend: Studien belegen den Zusammenhang zwischen Pestiziden und dem Rückgang der Artenvielfalt. Vor allem beim Insektenrückgang in der Kulturlandschaft spielen sie eine herausragende Rolle.Bodenfruchtbarkeit beeinträchtigt
„Dass es nach mehr als 50 Jahren Einsatz von Pestiziden keine Daten zur Belastung der Ackerböden gibt, erscheint um so erstaunlicher, da Pestizide Bodenlebewesen wie Regenwürmer oder Springschwänze aber auch Mikroorgansimen und damit auch die Bodenfruchtbarkeit, die es ja für nachfolgende Generationen zu erhalten gilt, nachweislich negativ beeinflussen“, so Brühl. Organismen wie Insekten leben das ganze Jahr über in und außerhalb der Felder, als Ei im Boden, als Larve oder Raupe in der Vegetation und als ausgewachsenes Insekt dann in beiden Habitaten. „Daher ist es wichtig zu wissen, inwieweit die Böden und Pflanzen im Laufe des Jahres mit Pestiziden belastet sind“, so Brühl weiter. Und nicht nur die Ackerböden sind betroffen. Auch in den umgebenden Wiesen sind im Boden und in den Pflanzen Pestizide nachweisbar, da sie mit dem Wind verdriftet werden.Realität in der Pestizidzulassung nicht abgebildet
In der gegenwärtigen EU-weiten Zulassungspraxis werden lediglich Einzelstoffe untersucht, während die Auswirkungen der tatsächlich in der Umwelt vorkommenden Mischungen, die in Ackerböden bis zu 28 verschiedene Pestizide umfassen können, nicht berücksichtigt werden. Die aktuelle Studie hat zudem Pestizide nachgewiesen, die im Untersuchungsjahr nicht ausgebracht wurden. Dies weist laut den Forschenden auf längere Abbauzeiten in der Umwelt hin, als es in den Risikobewertungen im Rahmen der Zulassung angenommen wird. Zusätzlich spielt auch der Ferntransport eine Rolle. „In einer anderen Studie (s.u.) haben wir in den Alpen die Ausbreitung von Pestiziden vom Apfelanbau im Tal untersucht und konnten diese selbst in Gipfelregionen und Schutzgebieten nachweisen“ so Brühl. „Wir müssen annehmen, dass Landschaften mit Agraranteil chronisch mit Pestiziden belastet sind“.Einhaltung globaler Pestizid-Reduktionsziele notwendig
„Die nachgewiesenen komplexen Mischungen, die in mehr als 300 verschiedenen Kombinationen vorlagen, können nicht über eine Risikobewertung abgedeckt werden“, unterstreicht Brühl. Zudem sei der Umgang mit der realen Mischungstoxizität Aufgabe des Gesetzgebers. Die Forschenden plädieren deswegen für eine schnelle Umsetzung einer deutlichen Reduktion des Pestizideinsatzes und -risikos um 50 Prozent, wie es in weltweiten Zielen des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal für 2030 definiert wurde. Alternative Anbausysteme bestehen bereits in vielfältiger Weise, sie müssen nur breitenwirksam dargestellt und in der Fläche gefördert und umgesetzt werden.„Wir müssen jetzt handeln“, fordert Brühl. „Denn obwohl der Rückgang der Biodiversität von politischen Entscheidungsträgern wegen geringer Attraktivität in Wahlen in den Hintergrund gedrängt wird, besteht das Problem weiterhin und wird unsere Lebensgrundlage negativ beeinflussen.“
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https://rptu.de/newsroom/neuigkeiten/detail/news/nicht-nur-zu-spritzphasen-pestizidmischungen-das-ganze-jahr-ueber-in-boeden-und-pflanzen-praesent
Quelle: Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (01/2025)
Publikation:
Carolina Honert, Ken Mauser, Ursel Jäger, Carsten A. Brühl. 2025. Exposure of insects to current use pesticide residues in soil and vegetation along spatial and temporal distribution in agricultural sites. Scientific Reports. https://doi.org/10.1038/s41598-024-84811-4
Weitere in der Meldung genannte Studie:
Carsten A. Brühl, Nina Engelhard, Nikita Bakanov, Jakob Wolfram, Koen Hertoge & Johann G. Zaller 2023. Widespread contamination of soils and vegetation with current use pesticide residues along altitudinal gradients in a European Alpine valley. Communications Earth & Environment. https://doi.org/10.1038/s43247-024-01220-1